Donnerstag, 13. September 2007

Grundlagen: der Geldmarkt

Aus der Financial Times Deutschland (Hervorhebungen von mir hinzugefügt):

Am Geldmarkt ist nichts mehr, wie es war
von Lucas Zeise (Frankfurt)
Die Geschäftsbanken misstrauen sich gegenseitig. Sie fürchten, dass hohe Zahlungsverpflichtungen aus der Kreditkrise auf sie zukommen. Die Notenbanken erweisen sich als ratlos.

In diesem denkwürdigen August geschah, was normalerweise nie vorkommt: Der Geldmarkt fror ein. Banken, die dringend Geld benötigten - am Geldmarkt heißt dringend binnen einer Viertelstunde - mussten massive Zinsaufschläge zahlen. Am Geldmarkt schlägt sich die Kreditkrise extrem deutlich nieder. Denn trotz massiver Interventionen der Zentralbanken hat sich die Situation auch im September nicht entspannt. Für drei Monate laufende Gelder müssen weit höhere Zinsen als jemals seit 2001 bezahlt werden. Schlimmer noch: Aktuell sind solche Laufzeiten gar nicht mehr erhältlich. All das deutet darauf hin, dass die Banken selber den schlimmsten Teil der Kreditkrise noch vor sich sehen: Sie trauen dem Geschäftspartner weiterhin nicht und horten Geld.



Dabei ist der Geldmarkt eigentlich ein Markt, an dem Derartiges nicht geschehen dürfte: Da wird nicht spekuliert, sondern gerechnet. Am Geldmarkt geht es für Banken um ihren Rohstoff - Geld eben. Sie brauchen es, um ihre Zahlungsverpflichtungen punktgenau erfüllen zu können. Und sie wollen kein bisschen mehr. Alles, was zu viel ist, wird weiterverkauft.

Am wichtigsten ist Tagesgeld - "Overnight Money". Gehandelt werden auch Wochen-, Monats-, Dreimonatsgeld und Laufzeiten im Voraus, zum Beispiel Tagesgeld von morgen bis übermorgen.

Was den Geldmarkt in der Regel so langweilig macht, ist die Tatsache, dass er nur einen ursprünglichen Lieferanten kennt. Alles gehandelte Geld stammt ursprünglich von der Zentralbank, in den Ländern der Euro-Zone also der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie hat die magische, ihr von den Staaten des Währungsverbunds verliehene Fähigkeit, Geld aus dem Nichts per Federstrich zu schöpfen. Ebenso kann sie das Geld wieder im Nichts verschwinden lassen. Beides praktiziert sie - im großen Stil im Wochenrhythmus. Sie versteigert jeden Dienstag Wochengeld meist im Volumen zwischen 200 Mrd. und 400 Mrd. Euro.

Der Mindestbietungssatz liegt dabei für die Banken derzeit bei glatt vier Prozent. Weil die Banken den weit überwiegenden Teil ihres Geldes von der EZB zu diesem Satz erhalten, wird dieser Satz als der Leitzins bezeichnet. An ihm orientieren sich die Zinsen am Geldmarkt und, von da ausgehend, an den anderen Finanzmärkten.

Die EZB hat eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie viel Geld die Banken des Eurogebiets von Woche zu Woche jeweils brauchen werden, um ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Entsprechend teilt sie den Banken mehr oder weniger Geld zu. Deshalb kommt es nur sehr selten vor, dass der Geldmarkt insgesamt einen Überschuss oder akuten Mangel an Geld hat. In diesen Ausnahmefällen sacken die Tagesgeldsätze nach unten durch oder steigen markant über den von der EZB festgelegten Leitzins.

Wo zuvor Vertrauen bestand, herrscht jetzt Misstrauen

Und es gibt noch einen weiteren Grund für die Langweiligkeit des Geldmarkts: das Vertrauen der Geschäftsbanken in ihre gegenseitige Zahlungsfähigkeit. So wechselten bisher Geldbeträge in Milliardenhöhe auf Zuruf am Telefon die Besitzer, ohne dass Sicherheiten verlangt wurden. Bemerkenswerter noch: Es wurden bis auf wenige Ausnahmen keine Risikoaufschläge genommen oder bezahlt. Europas Geldmarkt kalkulierte bislang ohne Rücksicht auf das Kontrahentenrisiko - die Geldhändler nahmen an, dass der Geschäftspartner, dem sie Geld leihen, am Ende der kurzen Laufzeit des Kredits noch liquide sein würde.

Jetzt aber gilt für diese Zustandsbeschreibung des Geldmarkts die Vergangenheitsform: Wo zuvor Vertrauen bestand, herrscht jetzt Misstrauen. Die Banken haben Angst, Geld ohne Sicherheiten an andere weiterzugeben. Wenn sie es tun, dann nur gegen hohe Risikoaufschläge. Das treibt die Sätze hoch.

Sollte dieser Zustand anhalten, käme es zu einer Kreditverknappung auch außerhalb des Bankensektors, und trotz eines konstanten Leitzinses zu einer Erhöhung anderer Zinsen in der Volkswirtschaft. Die EZB versucht deshalb wie am Mittwoch, durch die Versteigerung zusätzlicher Gelder - zunächst von Tagesgeld, dann von Dreimonatsgeld - die extreme Verspannung des Geldmarkts zu lösen. Erfolg hatte sie dabei aber nur ein paar Tage lang, denn die Banken fürchten nach wie vor, dass hohe Zahlungsverpflichtungen aus der Kreditkrise auf sie zukommen - und die Notenbanken erweisen sich als ratlos.


Dazu außerdem noch ein Ausschnitt aus einem anderen Artikel:

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Um den Geldmarkt der Euro-Zone zu beruhigen, stellte die Europäische Zentralbank (EZB) die Rekordsumme von 75 Mrd. Euro über einen Langfristtender zur Verfügung. Es war erst das zweite Mal, dass die EZB den Markt außer der Reihe mit Dreimonatsgeld versorgte. Beim ersten außerordentlichen Tender im August hatte die EZB die Banken mit 40 Mrd. Euro versorgt und beim letzten regulären Langfristtender am 30. August 50 Mrd. Euro zugeteilt. Die Auktion sorgte aber nur für einen geringfügigen Rückgang des Zinses (Euribor). Der Satz, der am Morgen noch mit 4,75 Prozent fixiert worden war, fiel bis zum Nachmittag im Interbankenhandel auf 4,66 Prozent.

"Die Aufwärtsbewegung beim Dreimonatsgeld dürfte zunächst gestoppt sein", sagte ein Geldhändler. Dennoch dürfte es nicht zu einer nachhaltigen und deutlichen Entspannung bei Termingeld kommen. "Wer hofft, dass die Niveaus von vor Mitte August schnell wieder erreicht werden, der irrt sich", sagte der Händler. "Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass die EZB mit außerplanmäßigen Langfristtendern einspringt."

Insgesamt gaben 140 Banken Gebote über 139 Mrd. Euro ab, verglichen mit 119,75 Mrd. Euro beim regulären Langfristtender Ende August, was ein Rekordniveau gewesen war. Die Gebote wurden zu einem Durchschnittssatz von 4,52 Prozent berücksichtigt, verglichen mit 4,62 Prozent beim regulären Langfristtender. Der niedrigste akzeptierte Zins betrug 4,35 Prozent, der höchste bezahlte Satz 4,76 Prozent. "Die breite Spanne zeigt, wie unterschiedlich dringend der Geldbedarf bei den einzelnen Banken ist", sagte Postbank-Händler Peter Troska. Andere Marktteilnehmer waren enttäuscht, weil der Durchschnittszins nicht deutlicher unter dem aktuellen Marktniveau lag.