Donnerstag, 13. September 2007

FTD: Zentralbanken in der Zwickmühle

Ein interessantes Dossier in der Financial Times Deutschland zum Thema "Zentralbanken in der Zwickmühle" (IMHO "must read"! - Hervorhebungen von mir hinzugefügt):

Dossier "Fokus Money"
von Mark Schieritz und Doris Grass (Frankfurt)

Am Geldmarkt herrscht Panik. Aus Furcht vor Zahlungsengpässen horten die Banken seit Wochen Kapital, die Wirtschaft fürchtet bereits um ihre Kredite. Und die Zentralbanken stecken in der Zwickmühle.

Da saßen sie, die Herren des Geldes, hinter dem in diesen Tagen alle her sind, zum Greifen nah. In der Villa Leonhardi im Frankfurter Stadtzentrum trafen sich am Freitagabend führende Vertreter der Großbanken mit den Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB) zum gemeinsamen Dinner. Notenbankvize Lucas Papademos war da, EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark und Bundesbankpräsident Axel Weber.

Bei Riesengarnelen, Champagner und Himbeerparfait plauschte die illustre Runde über Konjunktur, Wirtschaftstheorie und die neuesten Gerüchte in der globalen Finanzwelt. Doch eigentlich wollten die Bankenvertreter von den Währungshütern nur eines wissen: Wann endlich kommt die nächste Geldspritze der EZB?

Ob in Frankfurt, New York oder London: Überall gieren die Banken nach frischem Geld. Die Institute saugen die Liquidität auf und horten sie bei sich - aus Angst, dass sie die Krise an den Finanzmärkten in Zahlungsnöte bringen könnte. "Wir haben die Anweisung des Vorstands, einfach alles aufzukaufen, was da ist", sagt ein Frankfurter Geldhändler.

Die Krisenmanager in den Zentralbanken stürzt das ins Dilemma: Spritzen oder nicht spritzen? Verzichten sie auf weitere Notmaßnahmen und wird das Geld knapp, drohen Unternehmen, Verbrauchern und dem globalen Finanzsystem verheerende Folgen. Drehen die Währungshüter aber den Hahn zu stark auf, riskieren sie weitere Verwerfungen in der Zukunft. Wie ernst die Lage ist, zeigte sich am Dienstag: Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte stützte die EZB den Geldmarkt mit einer Schnellinjektion.

An diesem Markt versorgen sich die Banken mit dem Rohstoff, den sie brauchen, um Kredite zu vergeben und so die Wirtschaft mit Finanzmitteln zu versorgen. In normalen Zeiten läuft das geräuschlos ab. Die Banken leihen sich Geld bei der Zentralbank zum Leitzins und vertrauen sich untereinander ihre überschüssigen Mittel an - gegen entsprechende Verzinsung. Der Handel am Geldmarkt ist ein dröges Geschäft; Schlagzeilen macht er kaum.

Jetzt aber stockt der Mechanismus: Die Banken leihen sich ihr Geld nicht mehr gegenseitig, sondern horten es. "Wir haben eine echte Vertrauenskrise", sagt Thomas Mayer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Warnendes Beispiel sind die IKB Deutsche Industriebank und die Sachsen LB, die über Nacht in Zahlungsengpässe gerieten. "Niemand weiß, wann und wo die nächste Bombe einschlägt" , sagt ein Händler. "Deshalb bereiten wir uns vor."

Als besonders gefährlich gelten die komplexen Finanzgesellschaften, die viele Institute aufgelegt haben. Sie leihen sich am Markt kurzfristig Geld und legen dies längerfristig wieder an. Zur eigenen Finanzierung geben sie komplexe Schuldverschreibungen aus, sogenannte Commercial Papers. Diese basieren in vielen Fällen auf Forderungen aus Hypothekendarlehen in den USA. Seit der US-Immobilienmarkt in die Krise gerutscht ist und immer mehr Amerikaner ihre Schulden nicht mehr bezahlen können, lassen sich kaum noch Abnehmer für die Commercial Papers finden. Allein in dieser Woche werden Papiere in Höhe von 130 Mrd. $ fällig. Insgesamt ist der Markt 2000 Mrd. $ schwer - das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt Frankreichs.

Wie groß das Misstrauen ist, wird in der Villa Leonhardi deutlich. "Sie können Millionen verdienen, wenn Sie Geld verleihen", stöhnt ein Banker nach dem zweiten Gang. "Aber was passiert, wenn Ihr Geschäftspartner nicht mehr zurückzahlt? Welcher Vorstand riskiert, das Überleben seines Instituts aufs Spiel zu setzen?" Zudem wisse man nicht, welche Risiken noch in der eigenen Bilanz versteckt seien. "Diese Situation ist so außergewöhnlich, dass man am Ende nicht genau weiß, was noch passiert."


Wie unwillig die Geschäftsbanken sind, anderen Kreditinstituten Geld auszuleihen, zeigt sich am Markt für Dreimonatsgeld (Euribor). In der Euro-Zone liegt der Zins aktuell mit 4,75 Prozent ungewöhnlich deutlich über dem Leitzins von 4,00 Prozent. In Großbritannien müssen sogar 6,904 Prozent gezahlt werden, so viel wie seit 1998 nicht mehr. Der Euribor ist der Taktgeber für eine ganze Reihe von kurzfristigen Zinsen - von Konsumentendarlehen bis hin zu Lieferantenkrediten. Steigt er, verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen für alle Schuldner, auch wenn die Zentralbanken den Leitzins unverändert lassen.

Zwar haben die Bank von England und die US-Notenbank Federal Reserve Kreditlinien für den Notfall eingerichtet. Doch die Institute schrecken davor zurück, sich daraus zu bedienen. "Wenn sich herumspricht, dass man auf so etwas angewiesen ist, wächst das Misstrauen noch weiter", sagt Stephen Cecchetti, Geldexperte an der Brandeis Universität. Dies musste die Deutsche Bank erfahren, als sie sich unlängst Geld bei der Fed lieh. Prompt kursierten Gerüchte im Markt, die Frankfurter seien selbst in Zahlungsschwierigkeiten.


Die Nerven liegen blank. So forderte Bob Diamond, der Präsident der britischen Großbank Barclays, die britische Zentralbank vor zwei Wochen unverblümt auf, mehr Geld bereitzustellen - ein außergewöhnlicher Schritt in der für ihre Zurückhaltung bekannten Londoner Bankenwelt. Und damit ist der Wunschzettel der Institute noch nicht zu Ende: Forderungen nach kräftigen Zinssenkungen gehören zurzeit ebenso zu ihrem Geschäft wie Aufrufe, die Währungshüter sollten ihnen ihre problematischen Papiere abkaufen.

Solche Bitten lassen die Zentralbanken normalerweise kalt. Diesmal aber müssen sie womöglich einlenken: Die Probleme des Bankensystems drohen die globale Konjunktur abzuwürgen. Denn inzwischen hat die Kreditbelastung der Banken eine Dimension erreicht, die ihre Fähigkeiten einschränken könnte, Wirtschaft und Verbraucher mit Geld zu versorgen. Schließlich müssen die Banken für alle Darlehen kostbares Eigenkapital vorhalten. "Wir sehen in der Verknappung des Kreditangebots das Hauptrisiko für die weitere Entwicklung", schreiben die Ökonomen von Unicredit. Die Deutsche Bank warnt vor einer "Rationierung von Krediten", welche die Konjunktur belaste. Morgan Stanley hat seine Prognose für das weltweite Wirtschaftswachstum 2008 um einen halben Prozentpunkt gesenkt. Und Barclays fürchtet gar, dass "Banken in die Insolvenz schlittern".

Als sicher gilt inzwischen, dass die Fed die Zinsen auf ihrer nächsten Sitzung am kommenden Dienstag senken wird. Die EZB hat vergangene Woche auf die für August angekündigte Zinserhöhung verzichtet. Aber nun regt sich innerhalb der Zentralbanken Widerstand gegen weitere Geschenke an die Institute. "Aufgeschoben ist nicht aufgehoben", sagt etwa Bundesbankpräsident Weber zur jüngsten Zinspause der EZB. Ein anderer hoher europäischer Notenbanker sekundiert: "Wir sind nicht den Banken, sondern der gesamten Volkswirtschaft verantwortlich."

Die Währungshüter fürchten, dass eine deutliche geldpolitische Lockerung die Inflationsrate nach oben treibt. Ihrer Ansicht nach sollte die Konjunktur die Verwerfungen am Finanzmarkt ohne Zinssenkungen verkraften. So prognostiziert die EZB weiterhin, dass das Bruttoinlandsprodukt der Währungsunion im kommenden Jahr um 2,3 Prozent zulegt.

Die Zentralbanker wollen den Eindruck vermeiden, sie stünden bereit, um Investoren aus der Klemme zu helfen, die in den vergangenen Jahren kräftig verdient haben. Nur wenn die Banken für ihre Fehler bezahlen, könnten spekulative Übertreibungen wie am US-Immobilienmarkt künftig vermieden werden, heißt es.


Schützenhilfe erhalten die Notenbanker von den mächtigen Ratingagenturen. Man gehe davon aus, "dass der Finanzsektor insgesamt ausreichend fundamentale Stärke aufweist, um die signifikanten Kredit- und Wertpapierabschreibungen, rückläufige Erträge im Investmentbanking und Handel sowie die für das zweite Halbjahr 2007 zu erwartenden Kreditverluste zu absorbieren", sagt Standard & Poor's.

Dennoch wachsen unter unabhängigen Ökonomen Zweifel, ob die Zentralbanken ihren Kurs durchhalten können. Kaum einer von ihnen traut sich zurzeit eine Prognose über die weitere Wirtschaftsentwicklung zu. Aber in einem sind alle eins: Bricht die Konjunktur ein, müssen die Währungshüter reagieren. "Wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir aggressive Zinssenkungen und dramatische Interventionen sehen könnten", sagt der Harvard-Professor Kenneth Rogoff, früherer Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds.

Vielleicht hat ja der Freitag dazu beigetragen, das Verständnis von Währungshütern und Kreditwirtschaft zu verbessern. Die Runde wurde im Lauf des Abends immer launiger; gegen Mitternacht verlagerte sie sich in die Bar eines Frankfurter Nobelhotels. Der letzte Banker ging gegen halb vier Uhr früh. Er musste die Morgenmaschine nach London kriegen.

Mitarbeit: Yasmin Osman, Titus Kroder