Montag, 5. November 2007

Kreditkrise: Über die Verletzlichkeit der Banken

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02. November 2007, 20:15 – Von Walter Niederberger
Immer dichterer Nebel um Kreditrisiken

Trotz Zinssenkung und trotz Milliardeninfusionen durch die amerikanische Notenbank: Die Sorgen der Anleger um eine ausufernde Kreditkrise steigen.

Am stärksten unter die Räder geriet erneut das grösste amerikanische Brokerhaus. Der Marktwert von Merrill Lynch, die zu Beginn dieser Woche Chef Stan O'Neal gefeuert hatte, hat sich nun schon fast halbiert. Das «Wall Street Journal» berichtet, die Börsenaufsicht SEC wolle mit einer Voruntersuchung herausfinden, ob die Banker bereits im Sommer von den aufziehenden Kreditproblemen wussten und diese gegenüber den Anlegern verschwiegen haben und ob sie faule Kredite aus der Bilanz entfernten, um das finanzielle Bild zu schönen.

Solche Vorwürfe, die von der Bank bestritten werden («Wir haben keinen Grund zur Annahme, dass derartige unangebrachte Transaktionen erfolgt sind»), erinnern an die Vorgänge beim gestrauchelten Energiekonzern Enron. Dieser hatte in der Endphase seines Bestehens Dutzende von Milliarden Dollar an dubiosen Transaktionen ausserhalb der Bilanz geführt, um den schlechten Zustand zu verheimlichen. Der Kongress hatte gestützt darauf striktere Buchführungsregeln eingeführt, die Vertuschungsmanöver verhindern sollten.

Im Fall von Merrill Lynch versuchten jedoch Manager, faule Kredite an Investoren abzutreten und vorübergehend aus der Bilanz zu entfernen, wie Derivativexpertin Janet Tavakoli ausführt. Ihr zufolge machten die Banker bei Hedge Funds die Runde und versuchten Kreditpakete für ein Jahr abzutreten. Danach sollten die Kredite zu einem im Voraus vereinbarten Preis zurückgenommen werden. Mehrere beteiligte Personen erklärten dem «Wall Street Journal», die Bank versuche rund 5 Milliarden Dollar abzutreten, in der Hoffnung, die Kreditpakete seien in einem Jahr wieder mehr wert. Die Bank musste wegen der Krise dennoch 8,4 Milliarden Dollar abschreiben, Experten rechnen mit weiteren Einbussen von bis zu 4 Milliarden.
Ein vermintes Gelände

Ob und welche anderen Banken ähnliche Buchhaltungstricks anwenden, ist nicht klar. Nur von Bear Stearns ist bekannt, dass bereits ein Kreditpaket von rund 1 Milliarde Dollar bei einem Hedge Fund parkiert wurde. Juristen verweisen darauf, dass sich die Banken auf ein vermintes Gelände begeben, wenn sie versuchen sollten, damit nur ihren finanziellen Zustand zu beschönigen.

Das Problem liegt darin, dass die Bewertung der Kredite dem Stochern im Nebel gleicht. Die Banken haben dafür zwar den vor zwei Jahren geschaffenen ABX-Index zur Verfügung. Er spiegelt aber nur ungefähre Preisvorstellungen. Das Bild ist so oder so düster. Die faulen Kreditpakete, die an nachrangige Hypotheken gebunden sind, haben seit Anfang Jahr fast 80 Prozent eingebüsst und die Banken mit in die Tiefe gezogen.

Neue Buchführungsvorschriften ab Mitte November schreiben den Instituten vor, ihre Kredite in drei Kategorien (von schlecht über mittelmässig bis gut) einzuteilen und separat auszuweisen. Goldman Sachs teilte bereits vorsorglich mit, 72 Milliarden Dollar an derartigen Papieren zu besitzen. Die UBS ist mit über 20 Milliarden Dollar in an sich hochklassigen Kreditvehikeln engagiert, Lehmann Brothers mit 22 Milliarden, Bear Stearns mit 20 Milliarden und JP Morgan mit 60 Milliarden.
Die Banken bleiben verletzlich

Solange unklar klar ist, wer diese Kredite zu welchem Preis aufkauft, werden die Banken unter Druck bleiben. Wenn das Beispiel der japanischen Nomura Securities herangezogen wird, so droht noch einiges Ungemach. Sie stieg dieses Jahr aus dem amerikanischen Hypothekengeschäft aus, konnte die Kreditpakete aber nur mit einem massiven Abschreiber von 28 Prozent loswerden.

Müssen die amerikanischen Banken im gleichen Ausmass bluten, werden in den nächsten Monaten noch einige Marktteilnehmer weiche Knie bekommen.