Mittwoch, 28. November 2007

Handelsblatt: "Zweckgesellschaften am Abgrund"

Auf handelsblatt.com gibt es einen interessanten Grundlagenartikel zum Thema "außerbilanzielle Zweckgesellschaften" (SIVs, Conduits):

HANDELSBLATT, Mittwoch, 28. November 2007, 10:04 Uhr
Finanzkrise wirkt sich weiter aus

Zweckgesellschaften am Abgrund
Von Hans G. Nagl und Rolf Benders

Die Finanzkrise zieht weiter ihre Kreise: Noch immer schlummern in dreistelliger Milliardenhöhe Anlagen in außerbilanziellen Zweckgesellschaften. Experten zufolge steht diesen so genannten Structured Investment Vehicles, die die Finanzkrise wesentlich mit verursacht haben, das Schlimmste erst noch bevor.

In der Hoffnung auf eine Markterholung mag kaum einer die Verluste realisieren und als erster Vermögenswerte auf den zusammengebrochenen Markt werfen. Damit aber bleibt das reinigende Gewitter aus – während sich das Misstrauen verstärkt. "Es sind Milliarden von Assets irgendwo im Raum und keiner verkauft sie“, meint ein Brancheninsider, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. "Es wird kein Boden gefunden und damit gibt es weiter keinen Markt.“

SIVs werden meist von Banken, zum Teil auch von Hedge-Fonds verwaltet. Sie investieren in forderungsunterlegte Anleihen (ABS) oder Kreditderivate (CDOs) hoher Bonität. Ihre Refinanzierung läuft über Eigenkapitaltranchen sowie kurz- und mittelfristige Schuldentitel. Per Ende Oktober umfasste der gesamte SIV-Sektor nach Schätzungen von Standard & Poor’s (S&P) noch ein Volumen von 289 Mrd. Dollar. Der Rating-Agentur zufolge wurden damit seit Beginn der Krise bereits um rund 100 Mrd. Dollar abgeschmolzen. Mehrere Vehikel wie etwa Rhinebridge von der Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB gingen in die Abwicklung und verkauften zumindest Teile ihres Vermögens.

Wegen der Subprime-Krise haben die Investments in den SIVs massiv an Wert verloren. Mitunter lässt sich sogar nicht einmal mehr ein Marktpreis ansetzen. Im Falle deutlicher Wertverluste ihrer Anlagen sind die Zweckgesellschaften gemäß Statut aber dazu verpflichtet, Vermögenswerte zu verkaufen, was deren Bewertungen weiter drückt und letztlich wieder die SIVs belastet. "Ein Ende dieser Spirale ist momentan nicht zu sehen“, heißt es in einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Als Folge versuchen die Vehikel oder die verwaltenden Banken, die die Anlagen mitunter auf die Bücher genommen haben, den Verkauf möglichst lange hinauszuzögern. Ein Insider berichtet etwa, dass selbst unter Verwaltung stehende SIVs darauf verzichten, Vermögenswerte zu veräußern. Denn die Investoren könnten vor Gericht ziehen und argumentieren, zu einem späteren Zeitpunkt wäre ein weit höherer Erlös zu erzielen gewesen. Zugleich werden Investments möglichst großzügig bewertet, um zu verhindern, dass in SIVs Schwellenwerte unterschritten werden, was die Abwicklung zur Folge hätten. "Was da gemacht wird, ist schon sehr wild“, sagt ein Marktteilnehmer. "Und jeder weiß, dass es der andere macht, deshalb bildet sich kein Vertrauen im Markt.“ Auch in dem von mehreren US-Banken rund um Citigroup, die Bank of America und JP Morgan initiierten US-Rettungsfonds sehen viele nur den Versuch, Verluste künstlich zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Der Fonds soll den krisengeschüttelten SIVs Vermögenswerte abkaufen – in der Hoffnung auf bessere Zeiten.

"Es wird einen riesigen Überhang an Assets geben, die zum Verkauf stehen“, prophezeit vor diesem Hintergrund S&P-Spezialistin Michelle Brennan. Sie weist noch auf ein weiteres Problem hin: Selbst wenn ein Investor derzeit Anlagen aus Zweckgesellschaften zu kaufen bereit sei, stoße er angesichts der permanenten Negativschlagzeilen bei seinen Kapitalgebern auf Widerstand.

Spätestens Anfang kommenden Jahres könnte es für viele der Zweckgesellschaften eng werden. Dann laufen erneut Refinanzierungsgeschäfte in Milliardenhöhe aus. Kaum ein Experte glaubt, dass angesichts der Risiken in den Zweckgesellschaften dort jemand erneut als Geldgeber auftreten will.

"Schon Anfang 2008 dürften sich die Probleme vieler SIVs verschärfen“, folgert deshalb Stefan Bund, Managing Director bei der Rating-Agentur Fitch. "Ich gehe davon aus, dass sich der Markt nicht schnell genug erholen wird, um den SIVs ein Fortbestehen in ihrer jetzigen Form zu ermöglichen.“ Die Wertverluste der Investments in den Vehikeln werden sich Bund zufolge nicht dauerhaft unter den Tisch kehren lassen: "Diese Verluste wird man früher oder später realisieren – bei den Gläubigern der SIVs und bei den Banken, die sich bei SIVs engagiert haben.“