Ein interessantes Interview, das alle Riester-Rente-Sparer aufhorchen lassen sollte...
Gefunden bei daserste.de:
"Riestern lohnt sich auf jeden Fall für den Staat"
Interview mit dem Sozialwissenschaftler Professor Meinhard Miegel
[plusminus: Herr Professor Miegel, die Gruppe derjenigen, in der Bundesrepublik, die unstete Erwerbsbiographien haben, dauerhaft niedrige Einkommen - ist das eine Gruppe, die eher wachsen oder konstant bleiben wird?
Meinhard Miegel: Diese Gruppe wächst ganz eindeutig. Wenn wir in der Geschichte ein Stückchen zurückgehen: In den 60er, 70er Jahren, hatten etwa zehn Prozent der Erwerbsbevölkerung unsichere Erwerbsverhältnisse mit in der Regel niedrigen Einkommen. Heute sind es 40 Prozent, und wir müssen davon ausgehen, dass schon in wenigen Jahren der Anteil bei 50 Prozent liegen wird und das weiter wachsend.
[plusminus: Mit was können diese Menschen im Rentenalter an Einkünften rechnen? Auf was kann sich diese Gruppe einstellen?
Miegel: Sie muss sich darauf einstellen, dass sie entweder Grundsicherung bezieht, oder dass sie von einer dritten Gruppe, wie Kindern und ähnlichen Personengruppen, unterhalten wird. Sie wird nicht in der Lage sein, mit ihrem Renteneinkommen ihren Lebensunterhalt im Alter zu bestreiten. Das ist ausgeschlossen.
[plusminus: Wir reden von Grundsicherung im Alter. Was ist das eigentlich? Das ist ein Begriff, der eigentlich noch nicht so sehr weit verbreitet ist.
Miegel: Seit einer Reihe von Jahren haben wir die Institution der Grundsicherung. Mittellose alte Menschen können Antrag auf Gewährung von Grundsicherung stellen. Das ist im Klartext Sozialhilfe im Alter mit einigen Besonderheiten. Ganz wichtig dabei ist, dass es kein Rückgriffsrecht bei den Kindern gibt oder bei sonstigen unterhaltsverpflichteten Personen. Es ist eine eigenständige Anspruchssituation für den alten Menschen. Und das ist etwas, was sich in den zurückliegenden Jahren durchaus als Form der Alterssicherung bewährt hat.
"Die Kluft kann ganz beträchtlich sein"
[plusminus: Inwieweit überschneiden sich die Themen Grundsicherung und private Altersvorsorge? Inwieweit muss ich tatsächlich, wenn ich mir jetzt Gedanken mache, um meine private zusätzliche Altersvorsorge, vielleicht auch diese Grundsicherung im Alter im Auge haben?
Miegel: Ja, der Einzelne muss wissen, was er durch private Vorsorgemaßnahmen noch ansparen kann an zusätzlichem Vermögen für das Alter. Die Kluft kann ganz beträchtlich sein. Wenn einer ein wirklich nur niedriges Erwerbseinkommen hat, dann hat er eine extrem niedrige Rente. Entsprechend groß ist die Lücke, die aufgefüllt werden müsste. Aber gerade diese Gruppe braucht keine besonderen Anstrengungen zu unternehmen, um jetzt diese Lücke zu füllen, denn die Grundsicherung wird in aller Regel höher sein als das, was sie durch Rentenanspruch und eigene Ersparnisse, eigene Vermögensbildung aufbauen kann.
[plusminus: Wie ist das dann einzuschätzen, wenn von verantwortlicher Seite, von Politikern gesagt, wird: Riestern lohnt sich für jeden, Riestern lohnt sich sogar für den Hartz IV-Empfänger?
Miegel: Riestern lohnt sich auf jeden Fall für den Staat. Denn wenn Menschen Vermögen gebildet haben, gleichgültig, vor welchem Hintergrund, dann trägt das Gemeinwesen später, wenn diese Menschen alt geworden sind, geringere Lasten, weil ja eine breitere Vermögensgrundlage vorhanden ist. Für den Einzelnen stellt sich die Rechnung ganz anders dar. Der Einzelne wird häufig feststellen müssen, dass sein Rentenanspruch plus das, was er sich da aufgebaut hat, immer noch unter der Grundsicherung liegt, und das heißt, er muss so oder so einen Grundsicherungsantrag stellen, und da macht es einen relativ geringen Unterschied, ob er nun sagt: Ich bekomme aus der Grundsicherung noch 100 oder 120 Euro oder ich bekomme 160 oder 200 Euro.
Anstrengungen für Einzelne oft sinnlos
[plusminus: Das heißt das ist eigentlich eine ganz individuelle Frage und jeder muss sich das anhand seiner individuellen Lebenssituation einmal durchrechnen. So pauschal kann man das gar nicht sagen, welche Altersvorsorge sich lohnt.
Miegel: Man kann keine pauschalen Aussagen machen, sondern jeder muss sich überlegen: Was werde ich wohl im Alter für Rentenansprüche haben, wie groß ist die Lücke und was muss ich an Sparleistungen erbringen, um diese Lücke zu schließen? Und dann werden viele Menschen, und ich fürchte, eine stark wachsende Zahl von Menschen, feststellen, dass ihr Rentenanspruch plus ihre private Vorsorge so dasteht, dass sie unterhalb des Grundsicherungsanspruches liegt, und damit die Anstrengungen, die sie da unternehmen, im Grunde genommen für sie persönlich sinnlos sind.
[plusminus: Wo werden diese Menschen vermutlich wohnen? In welchen Lebenssituationen sind sie? Ist das eher in der Großstadt, ist das eher im Osten, in einer Kleinstadt, auf dem Land? Wer wird vermutlich wirklich rechnen und hart kalkulieren müssen?
Miegel:
Eine Gruppe ist ganz eindeutig zu identifizieren, und das sind die Frauen. Denn die Frauen haben immer noch deutlich niedrigere Ansprüche als die Männer. Und insofern rechnet es sich für die Frauen häufig nicht, jetzt zusätzliche Sparanstrengungen zu unternehmen. In der Großstadt wird es sich seltener rechnen, weil dort die Grundsicherungsansprüche deutlich höher sind, als auf dem Land, das heißt die Zielgröße ist sehr viel schwerer zu erreichen als auf dem Land. Und dann gibt es noch dieses Gefälle zwischen West- und Ostdeutschland: In Ostdeutschland sind die Versorgungsniveaus an sich höher als in Westdeutschland, weil die Unterschiede zwischen den Grundsicherungen für einen Ostdeutschen Berechtigten und Westdeutschen verhältnismäßig gering sind, aber die Lebenshaltungskosten sind noch deutlich unterschiedlich.
Riester-Sparer entlasten das Gemeinwesen
[plusminus:
Wer es unter all diesen Voraussetzungen, unter all diesen Restriktionen und Überlegungen dann trotzdem macht und einen Riestervertrag abschließt. Was tut derjenige dann eigentlich.
Miegel: Nun ja, er entlastet das Gemeinwesen und das ist eine sehr noble Haltung, dass er sagt, ich will den Gemeinwesen, den Steuerzahler möglichst wenig zur Last fallen in meinem Alter. Insofern kann man das nur ermutigen. Aber wenn er einen Rechenstift in die Hand nimmt oder einen Taschenrechner, dann wird er sehr schnell feststellen, dass es sich für ihn individuell nicht gelohnt hat.
[plusminus: Kann man die Riesterrente im Sinne dieser Gruppe, über die wir gerade gesprochen haben, verbessern?
Nicht wirklich. Denn das würde bedeuten, dass man wesentlich höhere Subventionierungen vornähme. Wenn man die Riester-Rente, die Ansparphase hoch subventioniert, dann kann man sagen, das lassen wir alles, dann werden wir entsprechend höhere Grundsicherungsleistungen im Alter erbringen. Das ist also keine Sache, von der man sagen könnte, das ist ein Konzept, was jetzt zukunftsfähig ist.
Interview: Stefan Jäger