Mittwoch, 21. November 2007

FTD: "Wie sich die Krise ausweitet"

Gefunden bei der ftd.de:

Kolumne
Wolfgang Münchau: Wie sich die Krise ausweitet
von Wolfgang Münchau

Der Crash an den Kreditmärkten ist kein "Big Bang", sondern ein Mosaik vieler unscheinbarer Ereignisse. Sie blieben im Hintergrund, lösten zusammen aber die Krise aus.

Man findet diese Geschichten meist nur auf den hinteren Seiten der Finanzzeitungen. Es sind obskure, technische Geschichten, die so aussehen, als wären sie nur für ein Fachpublikum bestimmt. In Wahrheit erzählen sie eine der größten Finanzkrisen aller Zeiten.

Es sind Geschichten wie der Absturz der Monoline-Versicherer, von denen die meisten Leser wahrscheinlich noch nie gehört haben. Dabei handelt es sich um relativ kleine, hoch spezialisierte Finanzfirmen in den USA, die normalerweise Kommunalanleihen versichern. Vor ein paar Jahren haben sie den Kreditmarkt für sich entdeckt. Die Krise in diesem Markt hat sie an den Rand des Abgrunds gebracht. Denn die Kapitalbasis von Monolines ist sehr klein.

Eine weitere Geschichte, ganz weit hinten in der Financial Times vom Dienstag, war die Herabstufung von sogenannten Constant Proportion Debt Obligations (CPDO). Mit CPDO wettet man auf die künftige Kreditwürdigkeit von Unternehmen. Wie bei vielen anderen Instrumenten im Kreditmarkt enthält diese Wette einen starken Kredithebel. Das heißt, sie wird mithilfe von Bankkrediten aufgemotzt. Konkret wettet man auf die Kursentwicklung von Credit Default Swaps (CDS). Das sind Instrumente aus dem Kreditmarkt, mit deren Hilfe man sich gegen den Zahlungsausfall von Anleihen versichern kann. Der Preis eines CDS einer Firmenanleihe steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Kreditwürdigkeit der Firma.

Ein CDS wird normalerweise in Basispunkten gehandelt. Er bezieht sich in der Regel auf Firmenanleihen mit einem Nominalwert von 10 Mio. Euro. Ein CDS mit einer Notierung von 200 Basispunkten bedeutet also, dass es 20.0000 Euro im Jahr kostet, sich gegen den Zahlungsausfall zu versichern (zwei Prozent von 10 Mio. Euro). Wenn die Notierung von CDS fällt, dann wird die Versicherung billiger. Der Markt wird also optimistischer. Wenn die Notierungen von CDS steigen, dann verlangt der Markt eine höhere Versicherungsprämie.

Letzteres ist während der Kreditmarktkrise passiert. Anfang des Jahres notierte der iTraxx Crossover, ein Index von CDS bestehend aus europäischen Firmen mit geringer Kreditwürdigkeit, unter 200 Basispunkten. Am Montag dieser Woche lag dieser Index bei knapp 400 Basispunkten. Der Markt sieht also ein gesteigertes Risiko von Insolvenzen. Die CPDO-Wetten gingen meist in die andere Richtung.

Nehmen die Insolvenzen zu, dann steigen die Preise von CDS, und Instrumente wie CPDO geraten in Schwierigkeiten. Genau aus diesem Grund ist die Hypothekenkrise auf den Rest des Kreditmarkts übergeschwappt. Der Grund liegt in den Instrumenten selbst: CPDO basieren auf anderen Kreditmarktpapieren, die wiederum auf anderen aufbauen. Es sind Derivate von Derivaten. Knallt es in einem Bereich, dann wird der Schock in andere Bereiche transportiert und per Kredithebel verstärkt.

Was sich also wie Berichte für Insider liest, sind Mosaiksteine einer unglaublichen Krise. Sie verläuft in tausend kleinen Schritten, jeder einzelne scheinbar unspektakulär und weit entfernt von den Titelseiten. Die Herabstufung von Instrumenten, von denen man vorher nichts gehört hat, oder die Krise der Monolines ist für viele Menschen das Äquivalent eines Reissacks, der in China umfällt. Doch zusammengenommen bilden diese Geschichten die Chronik einer sich ausweitenden Katastrophe.

Diese Kreditkrise wird mindestens noch zwei Jahre dauern, und sie wird an den meisten Tagen keine großen Überschriften liefern. Sie wird aber unser Leben beeinflussen: Firmen werden es schwerer haben, Kredite zu bekommen. Banken hören auf, Kunden Hypotheken nachzuwerfen, die Konjunktur flaut ab, und die Globalisierung gerät für eine gewisse Zeit ins Stocken.

Auch die von Ereignissen in der Finanzwelt normalerweise immunisierten Konjunkturforscher fangen nun an, ihre Prognosen anzupassen. Denn die Krise wirkt schon jetzt auf die Konjunktur: durch den direkten Effekt eines kriselnden Finanzsektors, fallende Aktienmärkte, einen Rückgang der Kreditvergabe der Banken, höhere Geldmarktzinsen und natürlich auch durch den Verfall des $.

Wenn sich ab dem vierten Quartal der US-Abschwung verfestigt, was jetzt auch die Notenbank Fed voraussagt, steigt die Anzahl der Firmeninsolvenzen. Geht sie über das erwartete Maß hinaus, springen die Notierungen bei den CDS nach oben. Dann stürzen nicht nur die Monolines über die Klippe. Auch Instrumente wie CPDO werden eine Abstufung von "AAA", über den B-Sektor zu wertlosen Junk-Bonds erleben. Darüber hinaus gibt es noch eine ganze Reihe anderer Finanzinstrumente, die auf CDS beruhen und die ebenfalls in großen Schwierigkeiten sind, etwa die sogenannten synthetischen besicherten Schuldverschreibungen.

Wenn die Zahl der Firmeninsolvenzen einmal nach oben geht, was über kurz oder lang passieren wird, insbesondere während eines starken Abschwungs, dann knallt es im Kreditmarkt an allen Ecken und Enden. Genau das ist die versteckte Botschaft all dieser kleinen obskuren Geschichten - auch wenn sie in den Finanzzeitungen ganz weit hinten versteckt sind.

Wolfgang Münchau ist FTD- und FT-Kolumnist. Er leitet den Informationsdienst Eurointelligence.com.