Gefunden bei jungewelt.de mit Informationen zu den "neuen" Bilanzierungsmethoden (dazu folgt später nochmal ein weiterer Artikel) und zu Derivaten (Hervorhebungen von mir hinzugefügt):
07.11.2007 / Kapital & Arbeit / Seite 9
Zocker in Not
Die Turbulenzen der Citigroup markieren den Start einer neuen Etappe der Finanzmarktkrise. US-Notenbank plant Auffangfonds
Steffen Bogs
Die Kreditkrise frißt ihre Väter. Der Chef der Citigroup, Charles Prince, ist nach Stan O’Neal, Geschäftsführer von Merrill Lynch, bereits der zweite prominente Lenker eines großen Finanzkonzerns, der seinen Hut nehmen mußte. Nachdem die Citigroup für das dritte Quartal 2007 Abschreibungen in Höhe von 6,5 Milliarden Dollar vornehmen mußte, kommen nunmehr weitere elf Milliarden dazu. Damit gilt mittlerweile auch offiziell fast ein Fünftel des auf 100 Milliarden Dollar geschätzten Engagements der Bank in sogenannten Structured Investment Vehicles (SIVs) als verloren.
Totalausfälle möglich
Auslöser der jüngsten Turbulenzen rund um die größte Geschäftsbank der Welt war die Studie einer Analystin der renommierten kanadischen Ratingagentur CIBC World Market. Deren Herabstufung des Konzerns aufgrund der dramatisch verschlechterten Eigenkapitalquote löste eine Verkaufslawine bei den Aktien des Unternehmens aus.
Über 30 Milliarden Dollar soll die Kapitallücke als Folge von möglichen Abschreibungen aus den Kreditverbriefungen betragen. Die Citigroup läuft damit Gefahr, die Mindestanforderungen für Eigenkapitaldeckung nicht mehr zu erfüllen. Die milliardenschweren Ausfallrisiken sind dabei keineswegs nur auf einer Baustelle entstanden. Außer bei Kreditverbriefungen wittern Analysten auch beträchtliche Probleme bei Kreditkartenschulden und der Finanzierung von Firmenübernahmen.
Der faulste Fisch sind aber die Derivate. Dabei handelt es sich um Finanzinstrumente, deren Preise sich nach den Kursschwankungen oder den Preiserwartungen anderer Investments richten. Derivate sind so konstruiert, daß sie die Schwankungen der Preise dieser Anlageobjekte – z.B. Rohstoffe – überproportional nachvollziehen. Daher lassen sie sich sowohl zur Absicherung gegen Wertverluste als auch zur Spekulation auf Kursgewinne in bestimmten Zeiträumen verwenden.
Bei diesen Papieren ist die Citigroup nach der JP Morgan Chase Bank der weltweit zweitgrößte Player auf dem Markt. Das Derivatevolumen der Citigroup beträgt gigantische 34,8 Billionen Dollar – das 2,5fache des nominalen Bruttoinlandsproduktes der USA. Allein 2,93 Billionen Dollar beträgt die Summe der besonders risikoreichen Kreditderivate, denn dort sind Totalausfälle stets im Bereich des Möglichen.
Das Problem dabei ist der mehrstufige Transfer der Kreditrisiken im Finanzsystem. Da natürlich alle Marktteilnehmer mitverdienen wollen, geht die Schere zwischen den ursprünglichen Kreditsummen und dem vermeintlichen Wert dieser Kredite immer weiter auseinander. Die Kredite wurden von den Banken als Kreditverbriefungen verpackt und verschachtelt. Im Jahr 2006 erreichten Neuemissionen derartiger Zertifikate ein Volumen von 2,64 Billionen Dollar, im ersten Halbjahr 2007 waren es noch einmal 1,39 Billionen. Aufgrund der mitterlerweile überdeutlich gewordenen Ausfallrisiken brach der Markt anschließend zusammen. Bei Merrill Lynch sank der Umsatz im dritten Quartal 2007 im Vergleich zum Vorjahresquartal um 94 Prozent. Kreditverbriefungen im Nominalwert von mehreren Billionen Dollar sind zur Zeit nicht handelbar, es ist kein Marktpreis abrufbar.
Kreative Buchführung
Mit der sogenannten Level-3-Methode bei der Bilanzierung konnten die Banken bisher das wahre Ausmaß der Verluste verschleiern. Level 3 bedeutet, daß die Banken ihre nicht handelbaren Papiere selbst willkürlich bewerten können, und davon wird ordentlich Gebrauch gemacht. So hat Goldman Sachs insgesamt 72 Milliarden Dollar nach Level 3 bewertet. Dies sind zwar nur acht Prozent der Bilanzsumme, aber bei lediglich 36 Milliarden Dollar Eigenkapital ein enormes Risikopotential. Dieses Gebaren wird von allen wichtigen Banken der Wall Street gepflegt. Lehman Brothers bewertet möglicherweise komplett wertlose Papiere mit 22, JP Morgan Chase mit 60 und Bear Stearns mit 20 Milliarden Dollar.
Längst ist die US-Notenbank FED zum unverzichtbaren Rettungsboot für die Zocker an der Wall Street geworden. Auch am vergangenen Donnerstag reagierte die FED auf die Citigroup-Turbulenzen und pumpte zusätzliche Liquidität in Höhe von 41 Milliarden Dollar in den Markt – die mit Abstand größte Einzelintervention seit Beginn der Kreditkrise. Ferner basteln die Staatsbanker an einer Art Superfonds namens Master Liquidität Enhancement Conduit (M-LEC) mit. Dieser soll die nichthandelbaren Papiere der Banken aufnehmen, damit sie aus den Bilanzen erst mal verschwinden können. Die Institute sollen ihre wertlosen Vermögenswerte dort zu ursprünglichen Marktpreisen abladen können und nur für zehn Prozent des Nominalwertes haften. Dies kommt einer gigantischen Schuldenübernahme durch die FED, letztlich also durch den Steuerzahler, gleich. Der wird dafür über kurz oder lang vermutlich in Form einer steigenden Inflationsrate zur Kasse gebeten.