Montag, 15. Oktober 2007

USA: Wiedermal Zweifel an den Arbeitsmarktdaten

Bisher sind mir Zweifel an den Statistiken der Arbeitsmarktdaten - insbesondere bei dem Verfahren, wie es in den USA angewandt wird - nur in Blogs untergekommen. Nun gab es offensichtlich auch in "renommierten" Blättern Anlass zu Zweifeln, was da auf Basis des "Birth/Death Model" so an "entstandenen Arbeitsstellen" in die Statistik gekommen ist.

Hier ein Ausschnitt aus der Financial Times:


US-Arbeitsmarktdaten zum Grübeln
In seiner jährlichen Generalrevision im Februar 2008 wird das US-Arbeitsministerium die geschätzte Zahl der Stellen für das Referenzdatum März 2007 wohl um 297.000 nach unten korrigieren. Weitere Themen in diesem Kapital: Leidige Einzelheiten und Merck KGaA.

Geschenkt. Richtig interessant wird es nämlich erst im Februar 2009 und 2010, wenn die Generalrevisionen für die Referenzdaten 2008 und 2009 anstehen.

Wieso? Nun ja, laut Firmenbefragung hat die US-Privatwirtschaft (ohne Landwirtschaft) über die vergangenen zwölf Monate den aktuellen Schätzungen zufolge 1,4 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Davon aber gehen 1,118 Millionen oder 80 Prozent auf die statistische Annahme zurück, dass bei neu gegründeten Firmen entsprechend mehr Stellen entstanden als bei Firmenschließungen entfallen sind (Net Birth/Death Model). Grundsätzlich nichts gegen diese Methode. Doch nur einmal zum Vergleich: Vor anderthalb Jahren lag der geschätzte jährliche Stellenzuwachs insgesamt noch bei 2,678 Millionen; davon entfielen 0,875 Millionen auf das Net Birth/Death Modell - oder 33 Prozent. Sehr plausibel ist es allerdings nicht, dass der gezählte und hochgerechnete Teil des Beschäftigungsaufbaus sich massiv verlangsamt und sich der unterstellte Teil gleichzeitig sogar noch beschleunigt - zumal die Wirtschaft inzwischen ja ziemlich deutlich nachgegeben hat.

Und selbst wenn man die derzeitigen Schätzungen zum Nennwert nimmt, wären über die vergangenen zwölf Monate sage und schreibe 35 Prozent des privaten Stellenaufbaus im Gesundheits- und Sozialwesen angefallen (vor anderthalb Jahren 15 Prozent), wo die Löhne überdurchschnittlich sind und steigen. Das kann man ebenso als erschreckend wie als ermutigend bezeichnen, nicht nur mit Blick auf die generellen Lohnnebenkosten in den USA.
Leidige Einzelheiten

Weiter kamen allein 29 Prozent des privaten Stellenzuwachses aus dem Niedriglohnsektor Freizeit (zwölf im Frühjahr 2006), während der Staat über die vergangenen zwölf Monate für 14 Prozent des Gesamtbeschäftigungsplus verantwortlich zeichnete (sechs). Keine Einwände gegen die Dienstleistungsgesellschaft, aber große Produktivitätsfortschritte sollte man sich von Künstlern, Kellnern, Altenpflegern und Beamten lieber nicht erwarten. Und zumindest zur Besserung des Warenhandelsdefizits, der Achillessehne der US-Wirtschaft, tragen diese Stellen eher wenig bei.

Neben den Niedriglohnsektoren Einzelhandel und Arbeitsvermittlung, der durchschnittlich zahlenden Industrie und dem gut entlohnenden Bau schwächelt die Beschäftigung derweil auch im Finanzwesen, wo hohe Gehälter entrichtet werden und jüngst zudem die Entlassungsankündigungen sprunghaft gestiegen sind. Diese Sektoren zeichnen vermutlich ein viel besseres Bild von der tatsächlichen Lage des (spätzyklischen) US-Arbeitsmarkts als der für September berechnete Gesamtstellenaufbau von 110.000. Gemäß der Umfrage unter den privaten Haushalten lag die Beschäftigung im September übrigens gerade einmal um 0,2 Prozent über dem Stand von Ende 2006, womit die Arbeitslosenquote seit März von 4,4 auf 4,7 Prozent gestiegen ist.

Insgesamt nehmen die Stundenlöhne - noch - um stattliche 4,1 Prozent zu, doch bei den gegenwärtigen Rohstoffpreisen würde auch die Inflation in den nächsten Monaten allein aufgrund eines Basiseffekts auf mehr als drei Prozent klettern. Alles in allem könnten jene Anleger mächtig enttäuscht werden, die nach den jüngsten Arbeitsmarktdaten darauf wetten, dass die defizitären US-Verbraucher den Hauspreisverfall und die Kreditverknappung locker wegstecken werden können.