Bereits Anfang Oktober hatte ich einen Artikel aus der "Berliner Morgenpost" zum Thema "gefühlte Inflation" eingestellt. Dort wurde eine alternative Berechnung der Inflation vorgestellt, die sich stärker an den Produkten orientiert, die wir tatsächlich auch tagtäglich einkaufen. Als Ergebnis kam damals eine Inflationsrate von knapp 4% heraus - entgegen den "offiziell vermeldeten" 2,x%.
Nun gab es auch im Handelsblatt einen Artikel rund um die globale Inflation - und die Zwickmühle, in der die Politiker sitzen:
HANDELSBLATT, Freitag, 19. Oktober 2007, 16:26 Uhr
Ursachen der Preissteigerungen
Neue globale Inflation
Die Preise für den täglichen Bedarf sind stark gestiegen, deshalb nehmen Bürger Kaufkraftverlust und gefühlte Inflation viel stärker wahr. Doch nicht nur in Deutschland wird es immer teurer, sondern weltweit. Welche Folgen die Rückkehr der Inflation hat und wer die Verantwortung dafür trägt.
So teuer wie in diesem Jahr war die Gaudi noch nie. 15,40 Euro für zwei Maß Bier, 8,90 Euro für ein halbes Hendl, 2,20 Euro für zwei Fahrkarten mit dem Bus – macht zusammen 26,50 Euro. Wer in diesem Jahr das Münchner Oktoberfest besuchte, musste tief in die Tasche greifen. Allein die Maß Bier kostete vier Prozent mehr als im Vorjahr. Im Vergleich zu 1985 war der Gerstensaft sogar 150 Prozent teurer.
Damit ist das Ende der Teuerungswelle beim Bier noch längst nicht erreicht. Die Brauereien klagen darüber, dass der Preis für Strom um 23 Prozent gestiegen ist und der für Glas um 30 Prozent. Braumalz kostet sie 84 Prozent mehr als vor einem Jahr und Hopfen doppelt so viel. „Solche Kostensteigerungen können nicht mehr durch Einsparungen aufgefangen werden“, sagt Peter Hahn, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes.
Der Preisschub ist nicht aufs Bier beschränkt. Joghurt, Käse, Quark, Milch, Butter, Backwaren, Wurst oder Eiscreme: „Alles teurer!“, schimpft „Bild“ und fragt aufgeregt: „Sollen Rentner jetzt etwa keine Butter mehr essen?“
Auch für Energie müssen die Bürger mehr Geld auf den Tisch legen als je zuvor. In den vergangenen sieben Jahren ist der Preis für Haushaltsstrom um 48 Prozent in die Höhe geschossen. An der Zapfsäule markiert der Preis für einen Liter Diesel im September den neuen Rekordstand von 118,5 Cent. Wäre da nicht der starke Euro, läge der Preis noch viel höher.
Im September schnellte die Teuerungsrate für die Lebenshaltung von 1,9 auf 2,5 Prozent in die Höhe. Verantwortlich dafür sei in erster Line ein Sondereffekt, wiegelten die Experten des Statistischen Bundesamtes ab. Weil der Verbraucherpreisindex durch den Rückgang der Energiepreise im September des vergangenen Jahres besonders niedrig ausfiel, errechne sich jetzt eine höhere Zuwachsrate.
Bei den Bürgern verfangen solche Beschwichtigungsversuche nicht. Weil sich vor allem die Produkte des täglichen Bedarfs kräftig verteuert haben, nehmen sie den Kaufkraftverlust viel stärker wahr. Zu Recht, wie Statistik-Experte Hans Wolfgang Brachinger von der Uni Fribourg meint. Der Preisexperte hat einen Index der gefühlten Inflation entwickelt. Mit seiner Methode hat er exklusiv für die WirtschaftsWoche die gefühlte Teuerungsrate für einen Korb von Produkten ermittelt, deren Preise in den vergangenen Wochen spürbar gestiegen sind. Das Ergebnis: Die wahrgenommene Inflationsrate für diesen WiWo-Warenkorb ist binnen eines Jahres von zwei Prozent auf knapp acht Prozent explodiert.
Wer ist schuld? Dass die Kosten unserer Lebenshaltung so stark steigen, ist nicht zuletzt eine Folge des höheren Wohlstands in anderen Ländern. Denn damit ändern sich die Lebensgewohnheiten der Menschen in Schwellenländern wie China und Indien: Sie fragen verstärkt Güter nach, die auch wir konsumieren. War vor zehn Jahren Tee noch fast das einzige Getränk der Chinesen, gehört bei den jungen Aufsteigern in den Städten der Café Latte bei Starbucks inzwischen zum guten Ton.
Auch zu Hause greifen die wohlhabenderen Chinesen immer öfter zur Milchtüte. Neun verschiedene Milchsorten in Packungsgrößen zwischen 0,5 und 1,5 Liter stehen im Kühlregal des Century-Supermarktes in der Guangqumen-Straße in der Pekinger Innenstadt. Vor allem die jungen Familien der städtischen Mittelschicht kaufen vermehrt Milch, weil sie von ihrer gesundheitsförderlichen Wirkung für ihren Nachwuchs überzeugt sind. Mit dem Nachfragesog aus Fernost ist der Milchpreis in Europa in die Höhe geschossen. Im August mussten die Bundesbürger 11,5 Prozent mehr für einen Liter zahlen als im Vorjahr.
Der Nachfrageboom nach höherwertigen Lebensmitteln in den Schwellenländern wird nicht so bald abebben: „Die Menschen dort wollen Weizen statt Reis, Rind statt Schwein“, sagt der argentinische Ökonom Roberto Alemann und prognostiziert, dass sich „das Preisniveau für Agrargüter auf einem höheren Niveau einpendeln wird“. Dieses Jahr werden die Preise für Agrarrohstoffe um durchschnittlich 31 Prozent steigen, schätzen die Experten der Investmentbank Goldman Sachs. Die Notierungen für Weizen (plus 56 Prozent) sowie Soja und Mais (jeweils plus 40 Prozent) führen dabei die Hitliste der Teuerung an.
Ein weiteres Phänomen treibt die Lebensmittelpreise nach oben: Aufgrund des hohen Ölpreises verkaufen die Bauern rund um den Globus Raps und Mais lieber an die Hersteller von Biotreibstoffen als an die Lebensmittelindustrie, weil sie dabei höhere Gewinne kassieren.
Die Folgen bekamen die Mexikaner schon im Sommer zu spüren. Weil sie das Maismehl für ihre Tortillas nicht selbst herstellen, sind sie auf Importe aus den USA angewiesen. Dort verkaufen aber immer mehr Farmer ihren Mais an die Ethanolfabriken. Die Folge: Zwischen Juli 2006 und April 2007 sprangen die Weltmarktpreise für Mais um 58 Prozent nach oben. Entsprechend stieg der Preis für Tortillas, die in Mexiko zur Grundernährung gehören, und damit die Inflation. Daher protestierten neben den Armen auch die Hausfrauen aus der Mittelschicht gegen die Teuerungswelle lautstark auf der Straße.
Auch der Klimawandel wird zu einem Treibsatz für die globale Inflation. Australien, nach den USA zweitgrößter Weizenexporteur der Welt, leidet schon seit mehr als fünf Jahren unter einer Jahrhundertdürre. Gerade erst senkte das staatliche Amt für Landwirtschaft und Ressourcen (Abare) seine Prognose für die kommende Getreideernte um ein Drittel auf 25 Millionen Tonnen. Das schrumpfende Angebot dürfte den globalen Weizenpreis nach Ansicht von Analysten auf bis zu zehn US-Dollar je Bushel treiben. Schon jetzt handeln Broker an den Warenbörsen Weizen zu mehr als acht Dollar je Bushel – fast doppelt so viel wie vor einem Jahr.
Energie wird immer teurer. Inzwischen kostet ein Barrel (159 liter) der Marke Brent rund 84 US-Dollar. Die Marke WTI erreichte am Freitag sogar die Rekordmarke von 90 Dollar. Die Nachfrage der Schwellenländer nach dem schwarzen Gold wächst beständig, während die globale Ölförderung bereits seit Anfang 2005 bei rund 85 Millionen Fass pro Tag stagniert.
Da die Ölförderung in der Nordsee und im Golf von Mexiko sinkt und die Erschließung neuer Ölfelder große technische Schwierigkeiten bereitet, wird sich Öl in den nächsten Jahren weiter verknappen. „Selbst unter günstigen Umständen wird die Nachfrage im gesamten nächsten Jahr über den weltweiten Fördermöglichkeiten liegen“, prophezeit Jochen Hitzfeld, Energieexperte von UniCredit. „Selbst ein Preis von 100 Dollar kann bei unvorhergesehenen Störungen auf der Angebotsseite nicht ausgeschlossen werden.“ Weil der Preis für Erdgas mit etwa sechsmonatiger Verzögerung dem Ölpreis folgt, ist auch bei Gas mit weiter steigenden Preisen zu rechnen.
Im August mussten die Bundesbürger zudem zwischen sechs und neun Prozent mehr für die Energie aus der Steckdose zahlen als im Vorjahr. Für den Preisschub ist neben den gestiegenen Abgaben an den Staat und den anziehenden Kosten für fossile Brennstoffe auch der Mangel an Wettbewerb in der Strombranche verantwortlich. Die großen Energieversorger haben sich den deutschen Markt in vier Zonen aufgeteilt, in denen sie sich nicht ins Gehege kommen. Die hohen Durchleitungsgebühren, die sie von ihren Konkurrenten verlangen sowie ihre Weigerung, durch bestimmte Gebiete Strom von Billiganbietern durchzulassen, halten den Wettbewerbsdruck gering und die Preise hoch. „Ein Vergleich der Kosten und Preise mit liberalisierten Märkten zeigt, dass die Strompreise in Deutschland viel zu hoch sind“, sagt Uwe Leprich, Energieexperte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken.
Arbeitskräfte werden knapp. Die neue Inflation ist auch auf steigende Arbeitskosten zurückzuführen. Arbeitskräfte, vor allem gut qualifizierte, werden weltweit knapp und teuer. Das gilt selbst für das Billiglohnland China, das in den vergangenen Jahren den Standard für den niedrigsten Produktpreis gesetzt hatte. Nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung klagen Fabrikmanager im Reich der Mitte nun über zunehmende Engpässe gerade bei jungen Arbeitern.
Einer davon ist Zhang Jingming. Umgerechnet 263 Dollar verdient er heute pro Monat in der Dahon-Fahrradfabrik im südchinesischen Shenzhen. Im Februar hatte er erst 197 Dollar in der Lohntüte. Die kräftige Lohnerhöhung erkämpfte er sich mit der Drohung, zu einer anderen Firma zu wechseln, wo er mehr verdient hätte.
„Noch vor drei oder vier Jahren“, sagt Zhong Yi, Vizedirektor einer Lederjackenfabrik im ostchinesischen Hangzhou, „galten 80 bis 100 Euro im Monat als guter Lohn für einen Arbeiter, jetzt sind 150 Euro Minimum.“ Im Schnitt ist der Lohn für Industriearbeiter in China in den vergangenen zwölf Monaten um 15 Prozent gestiegen.
Ähnlich hoch sind die Lohnzuwächse bei Chinas Konkurrent Indien. Für gute Ingenieure müssen Unternehmen bereits 75 Prozent des Gehalts eines Ingenieurs in den USA auf den Tisch legen. QualifizierteArbeitskräfte werden auch in Indien knapp, ihre Löhne steigen. „Asien“, war- nen daher die Ökonomen von UniCredit, „ wandelt sich vom Deflations- zum Inflationsexporteur.“
Die Folgen sind bereits in den Handelsstatistiken der Industrieländer abzulesen. So weisen die Daten in den amerikanischen Importstatistiken seit dem vergangenen Jahr einen Preisanstieg von zwei Prozent für Einfuhren aus China wie Textilien, Schuhe, Spielzeug und Möbel aus. Bei Elektronik- und IT-Produkten lag die Teuerungsrate Anfang dieses Jahres sogar bei vier Prozent. Zwei Jahre zuvor waren die Importpreise für diese Produkte noch um zwei Prozent gefallen.
Money Matters. Höhere Agrarpreise, teurere Energie und steigende Lohnkosten können die Lebenshaltungskosten jedoch nur kurzfristig in die Höhe treiben. Für einen dauerhaften Anstieg des Preisniveaus muss auch die Geldversorgung der Wirtschaft kräftig zunehmen. So hat Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman in seinen Untersuchungen über Geld und Preise nachgewiesen: „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.“
Bis in die Siebzigerjahre hinein glaubten Ökonomen und Politiker noch, mitetwas mehr Inflation die Wirtschaft an-kurbeln und die Arbeitslosigkeit senken zu können. So behauptete Helmut Schmidt 1972, „dass das deutsche Volk fünf Pro-zent Preisanstieg eher vertragen kann als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“. Die Deutsche Bundesbank drehte entsprechendden Geldhahn auf. Mit niedrigen Zinsen versuchte sie, die Konjunktur anzukurbeln. Am Ende hatte Schmidt beides: höhereInflation und höhere Arbeitslosigkeit. Die höhere Geldmenge trieb die Inflation in die Höhe, ohne die Arbeitslosigkeit zusenken.
Deshalb schwenkten die Zentralbanken in den Achtzigerjahren um und bremsten das Wachstum der Geldmenge, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. In den Neunzigerjahren kamen ihnen die preisdämpfenden Wirkungen der Globalisierung zu Hilfe. Die wirtschaftliche Öffnung Osteuropas, Chinas und Indiens brachte ein Milliardenheer an billigen Arbeitskräften auf den Weltmarkt, die nicht nur billig Hemden, Fernseher und Spielzeug produzierten, sondern auch die Löhne der Arbeiter im Westen drückten.
Angesichts der rückläufigen Inflationsraten wurden die Zentralbanken jedoch unvorsichtig. Auf die Asienkrise 1997, die Beinahe-Pleite des Hedgefonds LTCM 1998 und das Platzen der New-Economy-Blase 2000 reagierten sie mit kräftigen Zinssenkungen. Dadurch gelang es ihnen zwar, eine Rezession zu verhindern. Doch pumpten sie viel zu viel Liquidität in die Wirtschaft. Die Folge waren riesige Spekulationsblasen auf den Immobilien-, Rohstoff- und Aktienmärkten.
Aus Angst vor Deflation brachten die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen 2003 auf historische Tiefstände und pumpten noch mehr Geld in die Weltwirtschaft. „Damit schufen sie die Basis für einen neuen Inflationszyklus“, sagt Thomas Mayer, Euroland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank Global Markets. In einer Studie hat er herausgefunden, dass Inflationszyklen in der Regel eine Dauer von 20 bis 25 Jahren haben. Demnach werden auf die beiden zurückliegenden Jahrzehnte mit sinkenden Inflationsraten nun zwei Dekaden mit steigender Geldentwertung folgen.
Umso problematischer ist daher die jüngste Entscheidung von Fed-Chef Ben Bernanke, die Leitzinsen um 50 Basispunkte zu senken. „Die Fed hat die Zinsen gesenkt, während der Dollar sich fast auf einem Allzeit-Tief gegenüber wichtigen Währungen befindet“, moniert Richard Bernstein, Chef-Investmentstratege bei Merrill Lynch. „Nun steigt die Inflationsgefahr.“
Auch die EZB und die Bank von Japan haben angesichts der aktuellen Finanzmarktkrise kalte Füße bekommen – und in letzter Minute auf bereits angekündigte Zinserhöhungen verzichtet. Die Bank von England sah sich sogar gezwungen, zur Abwehr einer Bankenkrise dem Hypothekenfinanzierer Northern Rock mit gezielten Liquiditätsspritzen unter die Arme zu greifen.
Thorsten Polleit, Deutschland-Chefvolkswirt von Barclays Capital, sieht in diesen Rettungsaktionen „ein Versagen der Notenbanken“. Sie betreiben eine Klientelpolitik für die Finanzmärkte und begeben sich in deren Geiselhaft, kritisiert Polleit. „Das Ziel, die Preise stabil zu halten, bleibt dabei auf der Strecke.“
Deutsche-Bank-Ökonom Mayer erwartet, dass die Währungshüter das Stabilitätsziel in den nächsten Jahren weiter aus den Augen verlieren werden. Der Grund: In den meisten Industrieländern werden die Staatsfinanzen wegen der Alterung der Bevölkerung schon bald unter massiven Druck geraten. Weil eine Kürzung der Renten politisch nicht durchzusetzen sei, werde der Druck auf die Zentralbanken zunehmen, die Zahlungsverpflichtungen des Staates gegenüber den Rentnern durch höhere Inflationsraten zu entwerten.
„Keine Notenbank der Welt wird sich dagegen wehren können, durch mehr Inflation einen Kollaps der Staatsfinanzen zu verhindern“, prophezeit Mayer. Die Wirtschaftsgeschichte zeige, dass die Inflation immer dann zunimmt, wenn die Staatsfinanzen unter Druck geraten. „Früher waren es Kriege, in Zukunft wird es die demografische Entwicklung sein, die zum Anwerfen der Notenpresse zwingt.“
Von Malte Fischer, Mario Brück, Andreas Wildhagen, Alexander Busch, Andreas Henry, Matthias Kamp und Vera Sprothen, Wirtschaftswoche
Quelle: Wirtschaftswoche, Nr. 41, 08.10.2007.