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US-Hypothekenkrise
Kredite im Nirgendwo
Die Finanzmärkte in Unruhe: Wirtschaftsforscher kritisieren, dass die großen Banken ihre Bilanzen seit Jahren schönen.
Von Ulrich Schäfer und Nikolaus Piper
Früher konnte man auf einen Blick erkennen, welches Risiko eine Bank eingeht. Jeder, der einen Grundkurs in Buchführung hinter sich hatte, konnte in der Bilanz nachlesen, wie viele Milliarden ein Institut an seine Kunden verliehen hat. Heute ist dies nicht mehr so leicht.
Denn seit ein paar Jahren verkaufen viele Banken ihre Kreditforderungen an andere Anleger, oftmals an irgendwelche Fonds, die das Institut selber in einem Steuerparadies gegründet hat. Diese Investmentvehikel suchen dann neue Käufer für diese Kredite. Das Risiko wandert damit von Hand zu Hand; es wird gestreut, wie die Banker sagen.
280 Milliarden Dollar wieder in den Büchern
Das Problem ist nur, dass die Banken das Risiko damit nicht vollends loswerden - auch wenn es in ihrer Bilanz nicht mehr oder allenfalls im Anhang in einer Fußnote auftaucht. So mussten die amerikanischen Großbanken in den vergangenen Wochen Kredite von 280 Milliarden Dollar wieder in ihre Bücher nehmen, die sie einst still und leise ausgelagert oder verbrieft hatten, wie es im Jargon der Finanzwelt heißt.
"So etwas hat es noch niemals zuvor innerhalb eines so kurzen Zeitraums gegeben", sagt ein Analyst der Investmentbank Merrill Lynch. Zwei deutsche Banken, die IKB Deutsche Industriebank aus Düsseldorf und die SachsenLB aus Dresden, gingen gar in die Knie, weil sie sich mit Geschäften außerhalb der eigentlichen Bilanz verhoben hatten.
Für die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland "treten hier einige Fehlentwicklungen auch in den Strukturen der modernen Finanzmärkte zu Tage", wie sie gleich auf der ersten Seite ihres neuen Herbstgutachtens warnen. Es erweise sich als problematisch, "dass Finanzmarktinstrumente, die eine Verbriefung und den Handel von Krediten auf Sekundärmärkten ermöglichen, in den vergangenen Jahren große Verbreitung gefunden haben".
Falsche Anreize
Die Ökonomen räumen ein, dass es volkswirtschaftlich Sinn machen kann, die Risiken im Finanzsystem auf möglichst viele Beteiligte zu verteilen, und nicht nur auf eine überschaubare Zahl von Großbanken. "Allerdings", so fügen sie an, "zeigt sich nun beispielhaft auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt, dass die Weitergabe von Ausfallrisiken an den Kapitalmärkten mit Fehlanreizen einhergehen kann: Der ursprüngliche Kreditgeber wird möglicherweise die Bonität des Schuldners weniger genau kontrollieren."
Sprich: Da die Banken ihre Kredite oftmals sofort an andere weiterreichen, prüfen sie nicht mehr so genau, ob der Kunde genug verdient, um seine Raten zu bedienen; sie finanzieren, wie in den USA geschehen, auch Menschen ohne Eigenkapital den Kauf eines Hauses; und sie wähnen sich in Sicherheit, weil das Risiko ja scheinbar nicht mehr in ihrer Bilanz auftaucht. Weil die Regeln für die Verbriefung von Krediten aber überaus kompliziert sind, kann das Risiko irgendwann doch wieder bei ihnen landen.
Die gegenwärtige Finanzkrise dürfte, davon ist der Internationale Währungsfonds (IWF) überzeugt, das globale Wachstum im nächsten Jahr spürbar senken, aber vermutlich keine Rezession auslösen. So rechnen die IWF-Ökonomen damit, dass die Weltwirtschaft im nächsten Jahr um 4,5 Prozent wachsen wird - das ist ein halber Prozentpunkt weniger, als der Fonds vor einem halben Jahr vorausgesagt hat. Am stärksten getroffen wird dabei die Wirtschaft der Vereinigten Staaten - hier reduzierte der IWF seine Prognose um 0,9 Punkte auf 1,9 Prozent. In den USA könnte die Entwicklung wegen der Immobilienkrise allerdings noch deutlich schlechter verlaufen.
Der IWF fordert die Politiker in den Industrieländern dazu auf, Konsequenzen aus der globalen Finanzkrise zu ziehen. "Mehr Aufmerksamkeit ist der Transparenz und der Veröffentlichungspolitik systemisch wichtiger Institutionen zu widmen", heißt es im Weltwirtschaftsbericht, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Allerdings werden die fraglichen Institutionen, Hedgefonds und Investmentvehikel von Banken, nicht ausdrücklich genannt.
Auch der amerikanische Finanzminister Hank Paulson und die EU-Kommission wollen die Bilanz-Tricks der Banken genauer unter die Lupe nehmen. Paulson kündigte bei einer Rede in Washington an, dass sein Ministerium die Buchführungsregeln für solche Investmentvehikel überprüfen werde. Er wolle sicherstellen, so Paulson, "dass die Exzesse der Vergangenheit nicht in der Zukunft wiederholt werden".
(SZ vom 18.10.2007)