Freitag, 19. Oktober 2007

Interview mit Gottfried Heller

Gefunden bei der sueddeutsche.de (einzelne Hervorhebungen von mir hinzugefügt):

18.10.2007 18:05 Uhr
Interview
"Nadelstich in eine Blase"
Gottfried Heller, ehemals Partner des verstorbenen Börsengurus André Kostolany, vergleicht den Herbst 1987 mit der Börsenlage heute.
Interview: Simone Boehringer

Gottfried Heller, 72, Chef der Fiduka Depotverwaltung, prognostizierte am Tag nach dem Kurssturz die bis dato "kürzeste Aktienbaisse" - und behielt Recht. Die Situation heute ist nach Hellers Ansicht trotz einiger Parallelen mit damals kaum vergleichbar.

SZ: Herr Heller, im Oktober 1929 stürzten die Börsenkurse ab und lösten eine Weltwirtschaftskrise aus. Im Oktober 1987 war es wieder so weit, allerdings mit weit geringeren Auswirkungen. Die Kurse benötigten nur zwei Jahre, um Verluste aufzuholen. Dennoch ist der Monat Anlegern heute noch unheimlich - zu Recht?

Gottfried Heller: Nein. Der Oktober gilt als der schwankungsreichste Monat, jedoch nicht als der schlechteste. Statistisch am schlechtesten schneidet der September ab. Dieses Jahr bot sich eine Ausnahme. Nach der Kurskorrektur im August, als die Anleger nicht recht wussten, was mit der amerikanischen Hypothekenkrise auf sie zukommt, holten die Aktienkurse im September stark auf.

SZ: Die Unsicherheit darüber, ob das Schlimmste bei der Kreditkrise überstanden ist oder nicht, ist immer noch groß. Ist die Situation vergleichbar mit 1987?

Heller: Es gibt viele Unterschiede und wenige Parallelen. Die Vereinigten Staaten hatten damals wie heute ein riesiges Handelsdefizit aufgebaut und der Dollar war und ist schwach. Die Geldmarktpolitik, die Inflation, die US-Konjunktur und die Kapitalmärkte verhielten sich im Sommer 1987 jedoch völlig anders.

SZ: Die US-Notenbank hatte Wochen vorher die Leitzinsen auf mehr als sieben Prozent erhöht, die Preissteigerung betrug mehr als vier Prozent, aber die US-Wirtschaft boomte. Wie konnte es trotzdem zu einem 20-prozentigen Kursverfall an einem einzigen Tag kommen?

Heller: Zum einen wurden die auch damals schon weitgehend computergesteuerten Aktienhandelsprogramme für das Ausmaß des Absturzes verantwortlich gemacht. Es gab zudem einen wachsenden Vertrauensverlust in den Dollar. Und es gab Alan Greenspan, der damals quasi als erste Handlung als Notenbankchef die Zinsen erhöhte. Das wirkte sicherlich damals wie ein Nadelstich in eine Blase.

SZ: Welche Blase meinen Sie?

Heller: Japans Aktienmarkt war völlig überdreht, und auch amerikanische Titel waren vor dem Crash mit dem 23-Fachen des Unternehmensgewinns bewertet. Das ist viel zu viel, wenn man bedenkt, dass man für eine sichere US-Anleihe damals noch eine Rendite von fast zehn Prozent bekam. Der langjährige Schnitt liegt für Aktien bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 16 bis 17. Zum Vergleich: Beim Dax sind wir heute bei etwa 13.

SZ: Viele Experten sehen aber auch heute eine Börsenblase - in China.

Heller: Stimmt, aber wenn die platzen sollte, dürfte das den Rest der Welt zunächst wenig tangieren. Die chinesischen Anleger dürfen kaum im Ausland investieren, können also auch im Krisenfall kein Geld von dort abziehen. Und das Engagement der Investoren aus dem Westen in China hält sich ebenfalls bislang in Grenzen.

SZ: Drohen sonstige Gefahren für die Kurse, etwa infolge der US-Hypothekenkrise, oder raten Sie Anlegern schon wieder zum Einstieg in Aktien?

Heller: Im Vergleich zu anderen Alternativen, etwa Anleihen, Rohstoffe oder Immobilien, sind Aktien derzeit die billigste Ware fürs Depot. Die Inflation scheint kurz- bis mittelfristig im Zaum zu sein und die Leitzinsen werden auf absehbare Zeit eher sinken als steigen, also ein ideales Umfeld für Aktien. Durch anhaltende Bereinigungen im Zuge der Hypothekenkrise kann es noch zu deutlichen Schwankungen kommen, aber für eine Baisse sehe ich keinen Grund. Das weltweite Wachstum ist stabil. Wir haben große Chancen auf ein gutes Börsenjahr 2008.

SZ: Für Amerika sind die Wachstumsprognosen aber alles andere als rosig.

Heller: Das mag sein, aber die USA sind nicht mehr der einzige Gorilla unter den Wirtschaftsnationen. Mit China, Indien und auch der EU in Anbindung mit den osteuropäischen Ländern sind weitere Gorillas hinzugekommen, deren Prosperieren in der Summe das lahmende Amerika wettmachen kann. Wenn Amerika eine Erkältung bekommt, wird das bald nur noch als leichter Schnupfen in Europa ankommen.

(SZ vom 19.10.2007)