Gefunden bei der Financial Times Deutschland:
Spanischer Bauboom am Ende
von Karin Finkenzeller (Madrid)
Wohnungen stehen leer, Bauaktien stürzen ab, Makler schließen Büros. Die Euphorie am spanischen Immobilienmarkt ist dahin. Jetzt bangen viele Bürger um ihr Wirtschaftswunder.
Fernando García kam gerade aus dem Sommerurlaub zurück, da erwartete ihn im Briefkasten eine unangenehme Überraschung. "Die Summe der Rechnungen war um einiges höher als mein Kontostand", erzählt der 45-jährige Verwaltungsangestellte zerknirscht. Da er bei seiner Bank bereits einen Kredit für das 2001 gekaufte Haus, einen weiteren für das neue Auto und dazu ein Verbraucherdarlehen über 10.000 Euro laufen hat, hofft der zweifache Vater nun auf Credit Services. Das ist eine auf Umschuldung von Krediten spezialisierte Finanzagentur, wie sie überall in Spanien aus dem Boden sprießen - und die nun noch mehr Zulauf bekommen dürften. Denn nach dem Schock des Subprime-Debakels in den USA verschärfen Spaniens Banken die Konditionen für die Kreditvergabe.
Die Vereinigten Staaten sind mit ihrer Immobilienkrise nicht allein. Einigen europäischen Staaten geht es ebenso. Besonders brisant ist die Lage in Spanien. Jahrelang kannten die Preise für Gebäude oder Grundstücke nur eine Richtung: nach oben. In ihrem Kaufrausch verschuldeten sich viele Verbraucher - im festen Vertrauen, dass der Preis ihres neuen Eigenheims sowieso automatisch weitersteigen würde. "Viele fühlten sich wie Millionäre", sagt Pedro Javaloyes, Sprecher der Finanzagentur Agencia Negociadora de Productos Bancarios. Tatsächlich aber haben sich die Spanier überhoben. Heute stehen sie durchschnittlich mit sagenhaften 117 Prozent ihres Jahreseinkommens in der Kreide. Nun wächst im Land die Angst vor einem Wirtschaftseinbruch.
Fast ein Jahrzehnt lang lief alles prächtig für Spaniens Bauherrn. Jahr für Jahr wuchs der Wert ihrer Eigenheime im zweistelligen Prozentbereich, dazu fielen die Kreditzinsen auf einen historischen Tiefststand - und so waren Zweit- oder gar Drittwohnungen an der Küste oder in den Bergen alltäglich. Nun aber droht der Boom abrupt zu enden. Die Großbank BBVA prognostiziert für dieses Jahr zwar noch einen Häuserpreisanstieg von 5,5 Prozent, für 2008 aber nur noch ein Plus von 1,4 Prozent. Anders als früher können viele Spekulanten ihre Immobilie nicht mehr automatisch mit sattem Zugewinn weiterverkaufen.
Laut einer Untersuchung der Investmentbank Morgan Stanley sind in Belgien, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Schweden und Spanien die Eigenheimpreise seit 1997 viel stärker gestiegen, als es Lohnzuwächse, Bevölkerungs- und Zinsentwicklung nahelegen würden. Stattliche 47 Prozent betrage diese durchschnittliche Übertreibung. In Spanien sei die Lage besonders kritisch, sagt Thomas Beyerle, Chefresearcher der Allianz-Immobilientochter Degi. "Hier hat die Spekulationsblase dramatische Ausmaße angenommen."
Zugleich müssen sie immer höhere Tilgungsraten stemmen: Acht Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank in den vergangenen 18 Monaten haben die meist zu variablen Zinssätzen abgeschlossenen Kreditverträge empfindlich verteuert. So manche Rechnung geht da nicht mehr auf.
Fernando García etwa bezahlt zurzeit monatlich 600 Euro für seine Hypothek, dazu 280 Euro für das Auto und 150 Euro für den Verbraucherkredit. Sein Nettoverdienst von 1700 Euro reicht da kaum noch zum Leben. "Wenn ich nicht zusätzlich noch eine Kreditkarte hätte, würde es gar nicht funktionieren", sagt García. Wie ihm geht es vielen seiner Landsleute: Nach Umfragen von Verbraucherinstituten sind drei von fünf Haushalten am Ende des Monats in den roten Zahlen.
Für Spaniens Volkswirtschaft könnte dies schwerwiegende Folgen haben. Sie basiert vor allem auf dem Privatkonsum und dem Bausektor - und nun wackeln beide Säulen. Zwar stieg der private Verbrauch im zweiten Quartal noch immer um 3,3 Prozent. Doch vor allem die Ausgaben für langlebige Güter wie Autos nehmen ab. Mittlerweile verkneifen sich viele Spanier sogar den üblichen Restaurantbesuch zu Mittag oder die abendliche Tapas-Tour durch die Kneipen.
Auch am Baumarkt stehen die Zeichen auf Krise. Die an der Börse notierten Branchentitel haben seit April rund 20 Prozent ihres Werts eingebüßt, ein Kursverlust von mehr als 10 Mrd. Euro. Gut 15 Prozent aller spanischen Eigenheime stehen nach einer Uno-Studie derzeit leer.
Die Projektentwickler haben weit über Bedarf gebaut. Noch voriges Jahr stellten Spaniens Baufirmen rund 800.000 Wohnungen fertig - mehr als in Deutschland, Frankreich und Italien zusammen. Seit Jahresanfang ist die Stimmung aber gekippt: Die Immobilienverkäufer mussten ihre Preisforderungen mangels Nachfrage um bis zu 20 Prozent reduzieren.
Gerade an der Mittelmeerküste gibt ein Makler nach dem anderen auf. "In Alicante haben bereits 25 Prozent der Immobilienfirmen geschlossen", sagt Manuel Romera, Direktor an der Madrider Wirtschaftshochschule Instituto de Empresa. In Murcia wurden im Juni und Juli 85 Prozent weniger Immobilien verkauft als im Vorjahreszeitraum.
Da muss auch Pedro Solbes neu kalkulieren. Letzte Woche warnte Spaniens Finanzminister, das Wirtschaftswachstum könne 2008 unter drei Prozent sinken. Nach 3,8 Prozent in diesem Jahr. Die Investmentbank Goldman Sachs reduzierte ihre Prognose sogar auf 2,6 Prozent. So mancher Kollege von Solbes wäre froh über eine solche Steigerung des Bruttoinlandsprodukts. Für Spanien allerdings bedeutet es einen Einbruch. Das Wort "crisis" macht die Runde.
Auch Fernando García muss sparen. Doch ein Verkauf seines Heims kommt für ihn nicht infrage. "Im Moment würde ich für ein anderes Haus nur noch mehr bezahlen", sagt er. Mieten ist für Spanier keine Alternative. Sie wohnen traditionell in ihren eigenen vier Wänden.
Regierungen aller Couleur haben in der Vergangenheit den Erwerb des Eigenheims finanziell gefördert, nicht aber die Vermietung an Dritte. Deshalb verfangen bei jenen, denen das Wasser bis zum Hals steht, Werbesprüche der Umschuldungsagenturen, die eine Reduzierung der monatlichen Kreditbelastung um mehr als 50 Prozent versprechen.
Als García aus dem Büro seines Schuldenberaters kommt, hat er die Option, seine Tilgungsbelastung von 1030 Euro auf 475 Euro monatlich zu reduzieren. Credit Services will seine Verpflichtungen in einem neuen Kredit mit einer Laufzeit von 40 Jahren bündeln und dem Familienvater so wieder finanziellen Spielraum verschaffen. Gegen einen hohen Preis, freilich.
Nach Untersuchungen der Verbraucherschutzorganisation Adicae zahlen die Kunden solcher Finanzagenturen am Ende Zehntausende Euro mehr als ohne die Umschuldung. Und: "Viele Leute, die auf dieses System zurückgreifen, neigen dazu, weiter über ihre Verhältnisse zu leben", sagt Adicae-Präsident Manuel Pardo. "Sie sparen nicht. Wenn die Zinsen erneut steigen, stecken sie wieder in Schwierigkeiten."
García kennt diese Fallstricke. "Aber was soll ich machen?", fragt er und zuckt mit den Achseln. Wie ihm geht es vielen - und so boomt die Beratungsbranche. Allein Credit Services hat die Zahl seiner Umschuldungen von 32.000 im Jahr 2005 auf 45.000 im vorigen Jahr gesteigert.
Während 2004 in ganz Spanien nur neun Geschäftsstellen der Finanzagenturen existierten, waren es im vorigen Jahr nach Angaben der Beratungsagentur Tormo & Asociados schon mehr als 5000. Credit Services will sein Netz bis Jahresende auf rund 1000 Filialen ausbauen. Und im kommenden Jahr will sich das Unternehmen sogar an die Londoner Börse wagen.
Die Kritik der Verbraucherschützer lässt Firmenchef Javier López Pérez kalt. "Die Bündelung der Schulden ermöglicht es dem Kunden, finanziell entspannter ans Monatsende zu gelangen", sagt er. Und Sprecher Javaloyes von der Agencia Negociadora de Productos Bancarios sekundiert: "Wenn es uns nicht gäbe, wären viele Menschen nicht mehr in der Lage, ihre Schulden zurückzuzahlen."
Tatsächlich ist die Quote der faulen Kredite in Spanien bisher außerordentlich gering: weniger als ein Prozent. Finanzexperte Romera erwartet jedoch einen sprunghaften Anstieg in den kommenden Jahren.
Auf fünf bis sieben Prozent schätzt er das Volumen derjenigen fragwürdigen Hypothekendarlehen, die man in Spanien als Subprime einstufen könnte. Das wären rund 500 Mio. Euro. Nach Untersuchungen der Asnef, einer Vereinigung der spanischen Kreditinstitute, könnten ab 2008 gut 80.000 spanische Haushalte in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Während die überschuldeten Familien ihre Rettung in den Armen der Finanzagenturen suchen, setzen die spanischen Immobilienkonzerne nun verstärkt auf Lobbyarbeit. 14 der größten haben sich zur Arbeitsgemeinschaft G-14 zusammengeschlossen. Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, wie sie sagen.
Fernando García dürfte dieser neue Klub kaum etwas nützen.