Freitag, 19. Oktober 2007

SZ: Einschätzung zur aktuellen Lage

Gefunden bei der sueddeutsche.de:

18.10.2007 08:00 Uhr
Die Zukunft der Finanzmärkte
Eine Krise - kein Drama
Die US-Immobilienkrise treibt vielen Profis den Angstschweiß auf die Stirn. Stürzt die Konjunktur ab? Krachen die Börsen? Bislang ist davon nichts zu sehen. Das wird so bleiben.
Von Ansgar Siemens

Die Kassandra-Rufe am Finanzmarkt ertönen laut in diesen Wochen - und das hat, so scheint es, seinen Grund. Die stolzen Flaggschiffe unter den Banken dümpeln dahin, die Branche steht unter Druck.

Die Chefs der Schweizer UBS, an Rekordergebnisse im Quartalsrhythmus gewöhnt, mussten jüngst kleinlaut ein Horror-Minus einräumen: fast 500 Millionen Euro in drei Monaten. Längst rollen Köpfe in den Vorstandsetagen.

Kaum besser geht es den deutschen Instituten; bei einigen Landesbanken gar triefen die Bilanzen blutrot. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann weinte sich kürzlich im Fernsehinterview aus: "Wir haben alle Fehler gemacht."

Scharfe Scherben

Fest steht: Die meisten Banken haben sich am US-Immobilienmarkt verzockt, der Mitte Juli mit einem großen Knall zusammenbrach. Jetzt müssen die Scherben zusammengetragen werden - und daran, so unken die Crash-Propheten, wird sich nicht nur die Finanzwelt die Finger schneiden.

Nach dieser Logik vergeben übervorsichtige Banken weniger Kredite. Unternehmen kommen nur schwer an Geld, wachsen langsam und würgen die Konjunktur ab. Eine Welt im Jammertal. Wird es so weit kommen? Klare Antwort: Nein.

Der Aufschwung wird weitergehen. Zugegeben: Viele Banken dürften noch einige Zeit damit beschäftigt sein, ihre Bilanzen gesundzupflegen. Doch die Manager haben unter Schmerzen ihre Sünden gebeichtet. Die Deutsche Bank etwa musste mehr als zwei Milliarden Euro abschreiben. Eine Katastrophe - etwa der Zusammenbruch eines Weltkonzerns - blieb aus.

Die vergangenen Monate zeigen: Den Märkten ist nicht über Nacht das Lebenselixier abhandengekommen. Geld ist noch immer reichlich vorhanden - der Treibstoff für steigende Kurse.

Die Notenbanken haben mit umsichtigem Handeln die Anleger bei der Stange gehalten. Die amerikanische Zentralbank Fed etwa senkte den Leitzins deutlich um einen halben Prozentpunkt. Ebenso wie die Euro-Notenbank schoss sie Geld in den Markt, als das Misstrauen überhandzunehmen drohte.

Börsen im Aufwärtstrieb

Lohn der Mühen: Die Börsen befinden sich längst auf Erholungskurs. Der deutsche Aktienindex Dax knackte kürzlich die 8000-Punkte-Marke und nimmt stramm Kurs auf sein Rekordhoch aus dem Juli. Dieses Niveau hatte der Index unmittelbar vor dem Immobilien-Debakel erklommen; der US-Index Dow Jones hat seinen Juli-Rekord bereits überboten.

All das sind Zeichen dafür, dass von einer allgemeinen Finanzkrise als Vorbotin einer Rezession keine Rede sein kann. Als die Wall Street 1987 zusammenbrach, verlor der Dow Jones an einem Tag, am Schwarzen Montag, 23 Prozent. Der Dax sackte binnen vier Monaten um 40 Prozent - und dennoch sprang der Bazillus nicht auf die reale Wirtschaft über.

Ohne Zweifel werden manche Unternehmen die Ausläufer der Krise zu spüren bekommen - doch ein weltweiter Konjunktureinbruch zeichnet sich nicht ab. Die Boommotoren in Fernost fahren noch immer auf vollen Touren.

Banken, das steht fest, werden die Daumenschrauben für Kreditnehmer anziehen, mehr das Risiko bedenken, weniger Schulden weiterreichen können. Das trifft zuvorderst Finanzinvestoren, die bis zum Sommer schwindelerregende Milliardendeals verkünden konnten, weil Banken mit Geld um sich warfen.

Die Lehre aus der Krise

Damit ist nun Schluss - kein Nachteil. Geld, freigiebig verschleudert, verleitet zu Unachtsamkeit und Fehlinvestitionen. Bereits vor dem Immobilien-Fiasko reichten die Investoren ihre Firmen untereinander weiter, die Preise schaukelten sich in astronomische Höhen. Nur so waren Gewinnversprechen von mehr als 20 Prozent pro Jahr zu halten, die Finanzinvestoren ihren Anlegern gaben.

Finanzinvestor KKR etwa buhlte mit einer 44-Milliarden-Offerte um den Energiekonzern TXU; selbst Dax-Konzerne, 50 Milliarden schwer, waren ins Visier der Firmenjäger gerückt.

"Die Party ist außer Kontrolle geraten", schrieb das US-Magazin Fortune. Vorbei. Und so entfaltet die US-Immobilienkrise sogar eine kathartische Wirkung: Sie ist für die Märkte ein heilsamer Schock.