Wie bereits im Post "Finanzkrise: Norwegische Städte auf Kredit verspekuliert?" berichtet, haben sich mehrere Norwegische Städte / Gemeinden im Subprime Hypothekensumpf verspekuliert. Nun gibt es bei Spiegel Online auch einen deutschsprachigen Artikel zu diesem Thema:
SPIEGEL ONLINE - 02. Dezember 2007, 15:55
MILLIONENSCHADEN
Wie eine norwegische Kleinstadt in den Strudel der Bankenkrise geriet
Aufruhr jenseits des Polarkreises: Die Gemeindeverwaltung von Narvik hat sich auf dem riskanten US-Immobilienmarkt verzockt - und zig Millionen Dollar verloren. Jetzt bangen die Bürger um ihre Kindergärten und Krankenhäuser.
Narvik - Seit Tagen kann Karen Margrethe Kuvaas nicht mehr richtig schlafen. Sie ist die Bürgermeisterin der kleinen Stadt Narvik im Norden Norwegens, sie trägt die Verantwortung für rund 18.000 Menschen. Und sie hat das Vertrauen ihrer Schützlinge schwer enttäuscht.
Die Stadtverwaltung von Narvik hat - zusammen mit drei anderen norwegischen Gemeinden - insgesamt 64 Millionen Dollar verzockt. Jetzt fehlt das Geld an allen Ecken und Enden: "Ich denke jede Minute daran", sagt Kuvaas laut "New York Times".
Narvik ist das jüngste Opfer der weltweiten Kreditkrise. Erst konnten amerikanische Hauskäufer ihre Darlehen nicht zurückzahlen, dann gerieten New Yorker Banken ins Trudeln, später schwappte die Welle nach Europa herüber und zog Finanzinstitute wie die deutsche Mittelstandsbank IKB oder die britische Hypothekenbank Northern Rock nach unten. Und jetzt trifft es Narvik.
Die kleine Stadt hatte sich indirekt auf dem amerikanischen Subprime-Markt engagiert. Über einen norwegischen Broker kaufte sie spezielle Titel, die das weltweit größte Geldhaus, die Citigroup, aufgelegt hatte. "Die Leute im Rathaus waren absolut naiv", sagt Paal Droenen, ein Narviker Bürger, laut "New York Times". "Es ist eine Katastrophe für eine kleine Stadt wie unsere."
"Es müssen Köpfe rollen"
Gut ein Viertel seines jährlichen Budgets von 163 Millionen Dollar hat Narvik verloren. "Es müssen Köpfe rollen", verlangt Torgeir Traeldal, der Oppositionsführer im Gemeinderat. Er fordert einen Untersuchungsausschuss, um zu klären, wie es zu der Fehlinvestition kommen konnte.
Die große Sorge der Bürger ist, dass die Stadtverwaltung nun bei sozialen Projekten sparen muss. Kindergärten, Wohnheime für Krankenschwestern, Programme für Ältere - Narvik droht ein riesiges Einsparprogramm.
Dabei waren die Zukunftsaussichten in Narvik gerade seit langem erstmals wieder gut. Menschen zogen wieder in die Stadt im Norden Norwegens - so viele, dass plötzlich Kindergartenplätze fehlten. Die Beschäftigungsquote war wieder auf dem Niveau der achtziger Jahren, bevor Narviks Niedergang begann, schreibt die norwegische Zeitung "VG". Die kommunale Energiegesellschaft habe sich mit privaten Eigentümern zusammengetan - und wuchs. Der Stadt seien Extraeinnahmen über Jahre hinweg sicher gewesen. "Geld für Eishockeyhallen, ein Kulturhaus, Straßenbeleuchtung, eben all das, was eine kleine Stadt lebenswert macht", so VG.
Umso größer die Enttäuschung bei den Bürgern: "Ich bin stinksauer auf unsere Politiker", sagt Eileen Jacobsen, eine Kindergartenerzieherin. "Eine Privatperson hätte sich so etwas nicht erlauben dürfen."
Die Stadtverwaltung selbst weist alle Schuld von sich. Stattdessen erwägt Bürgermeisterin Kuvaas rechtliche Schritte gegen den Broker Terra Securities, der das Geschäft mit der Citigroup vermittelt hatte. Das Argument der Stadt: Sie sei über die Art der Anlage getäuscht worden, niemand habe die hohen Risiken erwähnt. "Wir sind nicht dumm, nur weil wir so weit im Norden leben", sagt Kuvaas.
Unterstützung bekommt Narvik von der norwegischen Finanzaufsicht. Terra Securities habe die Stadtverwaltung tatsächlich in die Irre geführt, urteilten die Kontrolleure - und entzogen dem Unternehmen die Lizenz. Außerdem forderten sie es auf, Insolvenz anzumelden.
Der Mutterkonzern, die Terra Group, lehnt es indes ab, Kompensationen an Narvik zu zahlen. Man habe mit dem Geschäft schließlich selbst einen Verlust eingefahren, sagte ein Sprecher.
Und Bürgermeisterin Kuvaas geht weiterhin davon aus, dass sie das Geld von den Banken, die Terra besitzen, wieder bekommt - auch, wenn die bisher alle abgelehnt hätten. "Sie hat das so oft wiederholt, dass es scheint, als würde sie es tatsächlich glauben", schreibt "VG".
wal/anr