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2. Dezember 2007, 13:04 Uhr
Von Martin Dowideit
US-Krise
Gute Zeiten für Schuldeneintreiber
Erst konnten sich viele Amerikaner ihre Baudarlehen nicht mehr leisten, jetzt geraten sie auch bei Autokrediten in Rückstand. „Wiederbeschaffer" holen für die Banken die nicht bezahlten Wagen zurück. Selten ging es den Eintreibern so gut wie heute. Weihnachten ist für sie die beste Zeit.
Hinter dem Eingangstor aus Maschendrahtzaun wacht bedrohlich ein Schäferhund über den Abschlepphof in Brooklyn. Das Gebell mischt sich unter den Lärm der benachbarten Autobahn nach Manhattan. Auch der Name der Firma wirkt abschreckend: „Bulldog Recovery“. Hier hat Anthony Giordano das Sagen, ein 27-jähriger Mann mit jungenhaftem Gesicht und Kinnbärtchen. In einer Ecke des Schotterplatzes hat er sein Büro in einem aufgebockten Bürocontainer eingerichtet, an dem die hellblaue Farbe abbröckelt. Zwei Elektroheizkörper bringen den Raum auf Saunatemperaturen. Die Wände hat er mit Autokennzeichen aus verschiedenen Bundesstaaten wie Ohio, Georgia und Iowa geschmückt. Auf einem Regalbrett steht eine Sammlung Miniatur-Bulldoggen. Auf dem Hof reihen sich dicht an dicht zwei Dutzend abgeschleppte Wagen.
So sieht in diesen Monaten ein amerikanisches Wachstumsunternehmen aus. Der Chef ist seit über zehn Jahren in der Branche. Aber selten sei es ihm so gut gegangen wie derzeit, erzählt Giordano. Denn sein Spezialgebiet ist derzeit stark gefragt. Gemeinsam mit seinen fünf Fahrern holt er Autos von New Yorkern zurück, die mit der monatlichen Leasingzahlung hinterher sind oder den geschuldeten Kaufpreis nicht rechtzeitig abstottern. In den USA dürfen Banken sich die finanzierten Wagen zurückholen, wenn die Kreditnehmer 30 Tage mit ihren Zahlungen in Verzug geraten. Und da angesehene Finanzhäuser wie Wells Fargo das nicht selber machen wollen, beauftragen sie einen „Repo Man“, einen Wiederbeschaffer.
Giordano setzt so in guten Jahren bis zu 500.000 Dollar um. Gerade hat er beschlossen, demnächst zwei neue Abschleppwagen zu seinen bisherigen fünf dazuzukaufen. Das kann er sich leisten, da die Immobilienkrise in den USA immer weiter um sich greift.
Ausfallraten höher als zur Krise 2001
Das Leben vieler Amerikaner fällt momentan zusammen wie ein Kartenhaus. Weil die Zinsen für Eigenheime so stark gestiegen sind, verlieren viele ihre Häuser und müssen in teure Mietwohnungen umziehen oder einfach mit den höheren Hypothekenzinsen fertig werden. Das Geld fehlt wiederum, um die Kreditkartenabrechnung zu zahlen –oder eben den Autokredit.
Verzweifelt versuchen viele, ihre Autokredite weiter zu bedienen –ganz wie es ein unter Ökonomen bekannter Spruch vorhersah: „Man kann in einem Auto schlafen, aber nicht im eigenen Haus zur Arbeit fahren.“ Neun von zehn Beschäftigten pendeln mit dem Auto zur Arbeit. Ist der fahrbare Untersatz weg, droht oft auch der Job verloren zu gehen. Dennoch, sagt Mark Zandi, Chefökonom des Wirtschaftsdienstes Economy.com, sind „die Ausfallraten jetzt bereits höher als in der letzten Rezession 2001“.
Wenn Giordano auf Autopirsch geht, fährt er erst ein paar Mal um den Block des Schuldners, um den Wagen zu entdecken. „Damit der Repo Man es leichter hat, den betroffenen Wagen aufzuspüren, bauen Autohändler immer häufiger GPS-Sender in kreditfinanzierte Fahrzeuge ein“, sagt Mike Sheridan, der einen elektronischen Marktplatz gegründet hat, auf dem Autohändler Kredite an Großbanken weiterverkaufen können. Manchmal legt Giordano sich auch auf die Lauer und beobachtet Betroffene, falls diese ihn schon erwarten und ihre Fahrzeuge verstecken. Meistens nimmt der New Yorker mit italienischer Abstammung seine Pitbullhündin Mia mit zum Einsatz. „Leute neigen weniger dazu, mit mir zu diskutieren, wenn sie Mia sehen“, sagt Giordano.
Doch obgleich er schon oft Wagen gegen den Willen der Besitzer abgeholt habe, sei er noch nie in eine Handgreiflichkeit verwickelt worden. Und zudem sei sein Unternehmen anders als die schwarzen Schafe der Branche, betont Giordano: Bevor er die Wagen abschleppe, klingele er an der Haustür der Besitzer oder rufe an –im Gegensatz zu einigen seiner Konkurrenten, die schon mal ein Auto klammheimlich mitnehmen. Giordanos Aufträge betreffen alle gesellschaftlichen Schichten. Einmal habe er einen Maybach aus einer Tiefgarage geholt. Auch Wagen von Rolls-Royce und Bentley hatte er schon am Haken. „Die gehörten in den meisten Fällen Hip-Hop-Musikern.“
Bereits nach zwei Monaten kommt der Eintreiber
Der Trend setzt die Banken unter Druck. Denn ebenso wie sie wegen der Immobilienkrise Milliardenbeträge abschreiben mussten, weil massenweise Hauskredite nicht mehr bezahlt wurden, werden sie auch bei anderen Konsumentenkrediten Geld verlieren –eine weitere Krise, die auf die Finanzbranche zurollt. Auch diese Schulden nämlich werden zu Paketen geschnürt und am weltweiten Kapitalmarkt weiterverkauft – wenn auch nicht in der gleichen Größenordnung.
Bisher hofften die Kreditgeber in der Regel darauf, dass der Schuldner sich wieder berappelt. „Bislang haben die Banken drei bis vier Monate stillgehalten, sollte jemand nicht mehr bezahlen“, sagt Unternehmer Giordano. Doch weil das mit der schwächelnden Wirtschaft immer unwahrscheinlicher wird, werden die Autofinanzierer säumigen Schuldnern gegenüber ungeduldiger. „Jetzt schicken sie mich gern schon nach zwei Monaten los.“
Eine solche Wiederbeschaffung kostet die Bank durchschnittlich 8000 Dollar. Zum einen bleibt sie auf dem Wertverlust eines beschlagnahmten Fahrzeugs sitzen, da es in der Regel möglichst schnell per Versteigerung weiterverkauft wird. Bei Auktionen aber lässt sich oft nicht viel holen. Zum anderen fallen die Kosten für die Dienste Giordanos oder seiner Konkurrenten an, etwa 300 Dollar pro Auto.
Weihnachten, die beste Zeit für eine Rückholung
Seit fünf Jahren ist Giordano jetzt selbstständig und hat in dieser Zeit bereits alle möglichen Ausreden gehört, warum Leute ihre Kredite nicht bezahlen können. „Es ist mein Job, das zu ignorieren“, sagt er mit samtweicher Stimme. Er müsse einfach im Auftrag seiner Kunden handeln. „Banken sind herzlos und interessieren sich nur für das Geld.“ Er müsse selbst über die Runden kommen: „Ich habe Zeiten erlebt, wo ich mir nur Brot mit Erdnussbutter und Gelee leisten konnte.“
Auch an Weihnachten macht Giordano keine Pause: „Um ehrlich zu sein, ist das die beste Zeit für eine Rückholung“, sagt er. Dann seien die Leute zu Hause und somit auch ihre Autos. Er wisse aber, dass der Kofferraum ein beliebtes Versteck für Weihnachtsgeschenke sei. Daher lasse er die Säumigen immer erst den Wagen ausräumen: „Ich bin kein schlechter Mensch, ich habe nur einen schlechten Job.“