Samstag, 28. Juli 2007

Bear Stearns: was steckt dahinter?

Während meiner zwangsweisen Abstinenz die letzten Wochen, gab es einige interessante Ereignisse in der Finanz-, Immobilien- und Kreditszene in den USA. Unter anderem musste Bear Stearns Kunden zweier seiner Hedge Fonds mitteilen, dass beide Fonds, die zum Jahresanfang noch mehrere Milliarden US-Dollar wert waren, nun plötzlich wertlos, bzw. "fast" wertlos sind.

Eine gute Zusammenfassung, wie sowas möglich ist - und was genau passiert ist, gibt es hier:

Wie die Hedgefonds-Blase entstand - und platzte

Anfang des Jahres waren sie Milliarden wert, nun sind sie pleite: Die US-Investmentbank Bear Stearns hat sich mit zwei Hedgefonds verzockt. Ökonom Willi Semmler erklärt, welche Kettenreaktion zu der Spekulationsblase führte - und wie schnell sich ein solches Debakel wiederholen kann.

New York - Ben Bernanke hat als Chef der amerikanischen Notenbank nicht nur die Inflation und Beschäftigung im Blick. In der Geschichte der Federal Reserve ist er auch einer der ganz wenigen geschulten Akademiker, die sich ausgezeichnet mit den Mechanismen der Finanzmärkte auskennen. In zahlreichen Fachbeiträgen hat er gezeigt, wie Finanzmärkte Aufschwünge und Abschwünge verstärken und zu irrationalen Verzerrungen der Bewertungen führen können. Bernanke nannte dies den "Finanzakzelerator".

Sein Wissen kann der Fed-Chef in diesen Tagen gut gebrauchen. Denn die US-Investmentbank Bear Stearns musste in dieser Woche offiziell einräumen, dass sie sich mit zwei ihrer Hedgefonds massiv verspekuliert hat und dabei Milliardenwerte vernichtete. Denkbar ist, dass der Kollaps der beiden Fonds Kettenreaktionen hervorruft, die auch andere Hedgefonds in Mitleidenschaft ziehen - mitsamt den Banken, die ihnen Kredite gaben. Entsteht eine größere Finanzmarktkrise daraus, auf die Bernanke reagieren muss?

Der Zusammenbruch der beiden Hedgefonds - sie trugen die umständlichen Namen High-Grade Structured Credit Enhanced Leveraged Fund und High-Grade Structured Credit Fund - ist ein Lehrbeispiel dafür, wie in einem Finanzmarktboom die realistische Einschätzung von Risiken leidet und alle Vorsicht vergessen wird.

Was genau ist geschehen?

Die beiden Fonds haben auf dem Markt für Hypotheken-Kredite an Schuldner mittelmäßiger und schlechter Bonität spekuliert, dem sogenannten Sektor des subprime lending. Hypothekenbanken in den USA haben auch zahlungsschwachen Schuldnern beim Kauf von Häusern und Wohnungen ermöglicht, bis zu 100 Prozent des Immobilienwertes zu borgen.

Oft war der Zinssatz anfangs niedrig, in der Regel gleitet er aber und orientiert sich an der Zinsrate der Tagesgelder der Fed (der prime rate). Diese ist in der Zwischenzeit auf 5,25 Prozent gestiegen. Viele Amerikaner, die Immobilien auf Pump erworben haben, stürzt das in akute Zahlungsnöte. In der Folge ist der Markt für subprime lending in die Krise gerutscht. Hypothekenbanken, die sich auf das Segment spezialisiert hatten, gerieten in Schwierigkeiten.

Warum aber hat das riskante subprime-Geschäft in den USA überhaupt eine Dimension annehmen können, die sich nun als maßlos übertrieben erweist? Das hängt damit zusammen, dass die Hypothekenbanken ihre Kredite als Sicherheit für Wertpapiere benutzen und diese weiterverkauften. Durch diese mortgage-backed securities (MBS) lässt sich das Kreditrisiko an andere Akteure auf dem Finanzmarkt weiterreichen. Dies vermindert den Anreiz, die Bonität der Kreditnehmer kritisch zu prüfen.

Die perfekte Blase

Investmentbanken erwerben hypothekenbesicherte Wertpapiere, bündeln sie und verkaufen sie ihrerseits weiter - in Form von Tranchen von Anrechtsscheinen mit mal größerem, mal kleinerem Risiko. Diese Tranchen werden CDOs genannt, was für collateralized debt obligations steht, also für eine Art von forderungsbesicherten Wertpapieren. Diejenigen Tranchen mit dem größten Ausfallrisiko versprechen im günstigen Fall auch die höchsten Renditen.

Die zwei Hedgefonds von Bear Stearns sind eigens für den Zweck gegründet worden, solche CDOs aufzukaufen. Das trägt Züge eines Glücksspiels: Wenn die Immobilienpreise nach oben gehen, bewahrt dies die US-Privathaushalte mit geringer Bonität vor Pleiten - und die CDOs werden zu sicheren Anlagen mit hohen Erträgen. Wenn die Immobilienpreise aber sinken, wird das Geschäft gefährlich.

Der Kauf von CDOs ist auch insofern riskant, als sie nur selten und von wenigen Akteuren auf dem Finanzmarkt gehandelt werden. Damit lässt sich schwer ermitteln, wie hoch der Wert der CDOs realistischerweise sein sollte. Kaufen Hedgefonds CDOs im großen Stil auf, treibt das den Wert nach oben. Das lässt die Manager des Hedgefonds erfolgreich erscheinen. Anlagefreudige und betuchte Kunden wittern hohe Renditen und investieren in diese Hedgefonds.

Erst recht bedrohlich wird es, wenn die Hedgefonds zu Finanzierungsbanken gehen, etwa zu Merrill Lynch, Citigroup oder der Deutschen Bank, und Kredite aufnehmen wollen. Als "Sicherheit" bieten die Hedgefonds ihre Portfolios mit den oft hoch riskanten CDOs. Die Banken erfüllen die Kreditwünsche mit billigem Geld, das sie sich zum Beispiel in Japan mit 0,5 Prozent Verzinsung beschafft haben (damit ist dann auch noch das Risiko von Wechselkursschwankungen verbunden).

Nun ist die Spekulationsblase perfekt. Die Hedgefonds kaufen noch mehr CDOs, dadurch steigt deren scheinbarer Wert. Die Finanzierungsbanken geben noch mehr Kredite. Andere Banken wollen auch in den lukrativen Markt einsteigen. Und die Hypothekenbanken im subprime-Sektor gewinnen weitere Anreize, mehr und mehr ungeprüfte Kredite an zahlungsschwache Haushalte zu vergeben.

Der Beginn eines Dominoeffektes?

Diese sich selbst verstärkende Aufwärtsspirale findet in dem Moment ein Ende, in dem die Immobilienpreise zu sinken beginnen. Die Kreditbanken, die den Hedgefonds Geld geliehen hatten, fangen an, ihre Gegenwerte zu verkaufen. Dadurch verlieren die CDOs an Wert, was wiederum andere Banken nervös macht - die ganze Logik der Spekulation kehrt sich um. Das erste Opfer war der New Century Fund, der im Mai wegen einer schief gegangenen Wette auf das subprime-Geschäft Bankrott machte. Dutzende andere Fonds mussten seither geschlossen werden.

Bei den Hedgefonds von Bear Stearns verlief die Abwärtsspirale ganz ähnlich: Banken wie die Citigroup, Goldman Sachs, Bank of America und die Deutsche Bank begannen verstärkt Ende Juni, Gelder zurückzufordern. Am 22. Juni musste Bear Stearns eine Rettungsaktion unternehmen und selbst 1,5 Milliarden Dollar zusätzlich in einen der beiden Fonds investieren, um ihn über Wasser zu halten (anfangs war sogar eine Finanzspritze von mehr als drei Milliarden Dollar geplant).

Angesichts weiterer Wertverluste im Immobiliensektor und bei CDOs waren die Fonds gleichwohl nicht zu retten. Inzwischen sind sie nach Eingeständnis von Bear Stearns "praktisch wertlos" und sollen mittelfristig aufgelöst werden. Die Investoren werden nur wenig von ihren Einlagen wiedersehen.

Die Aktienwerte von Bear Stearns und der involvierten Banken sind seither deutlich gesunken. Inzwischen sind auch Gerüchte aufgetaucht, dass auch Hedgefonds von Lehman Brothers in Schwierigkeiten geraten seien.

Ob weitere Kettenreaktionen folgen, ist im Moment nur vage zu beantworten. Als sicher kann gelten, dass Hedgefonds und Banken nun vorsichtiger agieren werden. Viele dürften hochriskante Anlagen abstoßen und sogar sicherere Anlagewerte verkaufen, um Cash zu gewinnen und eventuelle Finanzlücken zu stopfen. Die Platzierung neuer Anleihen am Markt ist, wie die "Financial Times" berichtet, schon viel schwieriger geworden.

Der subprime-Hypothekenmarkt ist zwar an sich nur ein kleines Marktsegment. Gut möglich ist aber, dass die Probleme auf andere Sektoren des Immobilien- und dann des Finanzmarktes ausstrahlen. Finanzmarkt-Experte Ben Bernanke jedenfalls bezeichnete die Implosion des subprime-Sektors bei seinem halbjährlichen Auftritt vor dem US-Kongress in dieser Woche als "Warnung". Der ganze Sektor sei durch laxe Kontrollen, übertriebene Kreditvergabe und in manchen Fällen Betrug gekennzeichnet. Die Lage werde "sich erst einmal verschlimmern, bevor sie sich bessert".

Bernankes Verhalten in den kommenden Wochen dürfte ein guter Indikator dafür sein, wie ernst die Situation ist. Wie oft erscheint er bei Reden und gesellschaftlichen Empfängen? Tritt er selten auf, ist das ein schlechtes Zeichen: Er sitzt dann wahrscheinlich in der Fed mit seinem Krisenstab zusammen.

Selbst wenn dieses Mal alles gut geht: Die nächste Spekulationskrise, ausgelöst durch den "Finanzakzelerator", dürfte ganz ähnlich beginnen wie das Debakel bei Bear Stearns.